Heft 
(1958) 5
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genau, sonst hätte sie nicht so hysterisch geschrien. Und noch immer sah sie mich groß an und schüttelte den Kopf. Das sollte wohl heißen:So jung und schon so verdorben! Ja, da saß ich schön in der Tinte. Und wie sollte ich da herauskommen? Ich muß es wohl gefühlt haben, daß ich für eine sachliche Auseinandersetzung mit der gebildeten Frau zu dumm war. Sie wieder anbrüllen, das hätte ich schon ganz gut fertiggebracht, ich ließ es aber lieber bleiben. Meinem Meister wollte ich keine Ungeleg'enheiten machen, und die zürnende Frau da vor mir war immerhin eine ganze Reihe von Jahren älter als ich. Und und es war so schön gewesen! Also verharrte ich weiter in der Rolle des armen Sünders, bis die Baronin nach ein paar sachlichen Worten ihrerseits verschwunden war. Doch dann stellte sich bei mir allmählich der Ärger ein, denn blamiert hatte ich mich ja ohne Frage ganz anständig. Ja, je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurmte mich mein Zukreuzekriechen vor der feinen Dame.

Als ich am anderen Tage gegenüber einem alten Bekannten meinem Herzen Luft machte, meinte der, so etwas dürfe ich nicht tragisch nehmen, das wäre schon, anderen Leuten passiert; zu allen Zeiten in der Geschichte hätten sogar große, berühmte Männer vor hübschen Frauen kapituliert.

.Ja, dachte ich, die mögen auch mehr Grund gehabt haben zu kapitulieren als ich .

Einige Jahre nach dem, eben erzählten Vorfall verkaufte der Baron Eckardstein seinen gesamten von mir erwähnten Besitz und gab auch seinen Wohnsitz im Schloß Plattenburg auf. Damit verschwand der lange Zeit bei uns mit so großem Respekt genannte NameEckardstein ganz aus der Prignitz.

Ich selbst habe mir dann im Laufe meines Lebens noch manchen Wind um die Nase wehen lassen und bin ein leidlich brauchbarer Mensch ge­worden. Auch eine Revolution konnte ich mitmachen. Am 9. November 1918 entwaffnete ich gemeinsam mit einem Trupp Matrosen, dem ich mich angeschlosesn hatte, die kaisertreuen Soldaten derNeuen Wache in Berlin. Ich war dort der erste Wach-Posten der Revolution und gehörte während der folgenden Nacht zur Besatzung derNeuen Wache. Am folgenden Tag wählten mich die Kameraden meines Lazaretts in den Berliner Soldatenrat.

Im weiteren Verlauf der Ereignisse konnten im Jahre 1919 zum ersten Male auch die Wilsnacker den 1. Mai würdig begehen. Ich hielt von der Freitreppe des Rathauses die Festansprache an die auf dem Marktplatz zahlreich versammelten Wilsnacker.

Doch den Baronen und ihresgleichen wurde damals nicht wehe getan. Die Mehrheit der deutschen Arbeiter war zu der Zeit zu vertrauensselig. Doch nach 1945 kam es anders. Da mußten die Herrschaftenvon und zu nicht

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