Wer von den geneigten Lesern sich bis hierher durchbuchstabiert hat, dem wird in den letzten „Sentenzen“ aufgefallen sein, daß die Gans einmal eine Gaus und einmal eine Goos ist. Das ist der Reichtum der Mundart. In der hochdeutschen Sprache ist solch ein Wort immer gleich, soweit der Duden reicht. In der Mundart aber lautet es ab, wird vielfältig. Das ist dann gar noch in einer solch kleinen Landschaft, wie unsere Prignitz sie ist, der Fall. Der Mittelprignitzer sagt „Höhner, Göös, Preester“. Der westliche Prig- nitzer dagegen, dessen Dörfer schon an Mecklenburg grenzen, hat einen ganz anderen Zungenschlag: „Häuhner, Gäus, Preister“. Und in der östlichen Prignitz wandelt es sich dann in umgekehrter Richtung: Aus Göös wird Gäns. Und ganz am Ostrande hört man sogar für das G ein J: Jäns! Wahrscheinlich strahlt da schon das Berlinische herein: „Eine jut jebratene Jans . . .“
Nehmen wir ein anderes Beispiel. Im Duden steht „weinen“. Der Prignitzer hat eine ganze Skala von Wörtern zur Verfügung, um diese Gefühlsäußerung zu bezeichnen: bröllen, rohren, brammen, weenen, hulen, flennen, plinsen, tüten, schnucken — wobei dann diese Wörter immer dieses Weinen variieren und jeweils einen anderen Grad desselben darstellen. Wohl gibt es einige dieser plattdeutschen Wörter auch im Hochdeutschen, aber dort hat z. B. das Brüllen einen ganz anderen Sinn, als wenn man bei uns sagt: De Kinner bröll’n. Die obigen plattdeutschen Ausdrücke für weinen beginnen beim explosiven Ausbruch, lauthals, und enden im stoßweisen und leisen „Schnucken“, das sich gar nicht erst beruhigen kann.
Wer aber von unseren hochdeutschen Lesern vermag nachstehende absonderliche Verben zu deuten: tämen, tügen, malkern, kleien, eien, fleien, gnärgeln, glupschen, gnatzen, iwern, schnüwen, schnökern, klüten, knütten, zaustern? Manch einer „schüddkoppt“ da wohl ratlos. Und was ist: fortsen, glieksen? Nicht, was unsere lieben hochdeutschen Leser vielleicht bezüglich des ersten Wortes annehmen, sondern nur: sofort, gleich! Denn dieses „o“ in unserem plattdeutschen „fortsen“ wird ganz anders gesprochen als das im gleichen hochdeutschen Wort. Für diesen plattdeutschen o-Laut gibt es keinen Buchstaben. Das „oa“ kommt ihm am nächsten. Es fehlen für das \ Platt nicht nur Buchstaben, um Laute zu bezeichnen, sondern auch eine feste, einheitliche Rechtschreibung ist nicht da, kann nicht da sein, weil, wie wir sahen, ja oft schon von Ort zu Ort die Wörter ablauten.
Wir sehen schon an den erwähnten kleinen Beispielen, wie reizvoll solch eine Mundart ist, und wie das nun vornehmlich die Sprachforschung selbst reizen muß. Darum hat sie gerade auch in unserer Prignitz, als der Ecke zwischen den Dialektländern Mecklenburg, Hannover, Sachsen, Brandenburg (Berlin) ein dankbares Arbeitsfeld. Wir freuen uns, daß wir in fast jedem Ort unserer Heimat ehrenamtliche Helfer, meist aus den Kreisen der Lehrerschaft, haben, die die Fragebogen des Brandenburg-Berlinischen Wörterbuchs ordnungsgemäß und lückenlos ausfüllen, und die so das
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