Heft 
(1915) 4/5
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Volksstämme beweist, daß keine der bronzezeitlichen Metallindustrien Europas an die Schönheit der nordisch-germanischen Erzeugnisse heranreicht. Hier haben wir eine wahrhaft klassische Formgebung und eine Zierweise, die mit den kleinsten Mitteln durch ausgesucht feinen Geschmack die herrlichsten Wirkungen erzielt. Da ist beispielsweise eine aus Bronze fein gegossene große Scheibe mit Mittel­spitze, wie sie zur Verkleidung des vorne liegenden Gürtelknotens von den ger­manischen Frauen damaliger Zeit ständig getragen wurden. Außen ist zuerst eine Randfläche freigelassen von aller Zier. Dann folgen als Einleitung des Musters sechs breitgehaltene und nur sehr flach eingetiefte Kreise, ein Uebergang vom leeren Rande zur dichtgefüllten Jnnenverzierung, die nach der Mittelspitze hin immer enger gedrängt, zugleich inimer kräftiger hervorgehoben wird. Die tiefeinge­schlagenen Spiralenbänder sind mit bewundernswerter Sorgfalt und einer bei müh­samster Handarbeit geradezu unbegreiflichen Genauigkeit ausgeführt. Wie fein empfunden ist die Abnahme der Größe der Spiralscheiben in den immer enger werdenden Kreisbändern. Dabei keine Spur von Eintönigkeit in der Wieder­holung des Musters, sondern ein unaufhörlicher Reiz in dieserunendlichen Melodie*.

Reich ausgebildet ist diese Zierweise überall am Schmuck, namentlich der Frau, sparsamer verwendet bei den Waffen des Mannes. Und trotzdem erregen die prachtvollen Schwerter, Beile, Axthämmer und Lanzen des Kriegers nicht minder unsere Bewunderung. Denn auch an den Schwertgriffen herrscht bei aller streng gewahrten Stileinheit die reichste Abwechslung in Form und Technik. Die Verzierung ist entweder reliefartig ausgetieft oder in die glatte Griffstange nur eingeritzt. Die Klingen sind, entsprechend ihrer ernsten Bestimmung, fast unverziert, aber von einer vollendeten Linienführung in Umriß, Mitleigrat und Begleitfurchen. Diese Klasse germanischer Schwerter war zu stilvoll, zu geschlossen in ihrem völkischen Charakter, um anderwärts, im Rahmen minderentwickelter Stile, gefallen zu können.

Daneben besaßen die Germanen aber noch eine zweite Art Bronzeschwerter, die nicht einen verzierten Vollgriff hatten, sondern eine platte, berandete un- verzierte Griffszunge, die erst mit unmetnllischem Stoff bekleidet werden mußte, Horn, Knochen, Elfenbein oder ähnlichem. An diesen Schwertern konnte jedes Volk nach eigenem Geschmack den Griff verzieren, und darum wurden sie auch zahlreich nach Süden ausgeführt; weniger zunächst nach Südwesten zu den Kelten, die in West- und Süddeutschland, in der Schweiz und auch noch in dem an­grenzenden Strich Frankreichs damals wohnten, als zu den Illyriern in Ost­deutschland und Oesterreich-Ungarn. Kelten wie Illyrier, beides nordindoger­manische Stämme, hatten sich aus den steinzeitlichen Ausschwärmungen der Ger­manen nach Mittel- und Süddeutschland und ihrer Vermischung mit den dort Vorgefundenen schwächeren Restbeständen der südindogermanischen Urbevölkerung um dieselbe zweite Periode der Bronzezeit zu selbständigen Völkern herausge­bildet. Die ostdeutschen Illyrier gaben nun diese germanische Schwertart an ihre österreichisch-ungarischen und oberitalischen Volksgenossen weiter, und vom östlichen Ober- und Mittelitalien aus kam sie sehr bald nach Griechenland (My- kenä und Kreta), nach Cypern, Kleinasien und selbst nach Aegypten ; freilich nicht mehr in den Urstücken, sondern in Nachbildungen.

Auf demselben Wege und genau um dieselbe Zeit wie die germanischen Griffzungenschwerter, um 1500 v. Ehr., kam eine andere germanische Erfindung nach dem östlichen Oberitalen: freilich keine Waffe noch ein Werkzeug, sondern ein Bestandteil der Tracht und ein Schmuckstück zugleich, die vielberufene Sicher­heitsnadel, die der Fachgelehrte mit einem seit Alters her gewohnten, darum aber nicht weniger überflüssigen lateinischen Fremdwort alsFibel" zu bezeichnen pflegt. Ganz Westeuropa und auch die vorhergenannten mitteleuropäischen Kelten begnügten sich innerhalb der gesamten Bronzezeit damit, die übereinandergelegten Säume der Oberkleidung durch eine Gewandnadel zu schließen und den Ver­schluß dadurch zu sichern, daß man in einer am Kopf oder Hals der Nadel an-