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Altgermanische Kulturhöhe.
Von Universitätsprofessor Dr. Gustav Kossinna, Berlin.
(Schluß.)
Und hier greisen als drittes Glied ein in die Kette unserer Schlußfolgerungen die Ergebnisse der vorgeschichtlichen Archäologie, insonderheit der von mir geschaffenen Siedlungsarchäologie. Aus der Erforschung der Gräber und ihrer Beigaben zeigt sie das Wandern ganzer geschlossener Kulturen aus ihrem Ursprungsgebiet in nahe oder fernere Kolonialländer, und so vermag sie die Ausstrahlungen des germanischen Völkerfrühlings von Skandinavien nach Norddeutschland, Mitteldeutschland und weiter nach Ost und West, über Alpen, Karpathen, Balkan u. s. f. handgreiflich aufzudecken.
Die Beigaben der Gräber befähigen uns auch, die Zeit und die Kultur der Begrabenen aufs genaueste zu bestimmen. Und da nun, wie schon die Rasse, so auch die Kultur dieser Gräber vor Ende der Steinzeit durchaus nach Mitteleuropa als Ursprungsland hinweist, so zeigt sich auch von dieser Seite aufs schlagendste, daß die damals bei den Ariern oder Jndogermanen herrschende Schicht überall in Europa aus nordischen Eroberern bestand, daß also die Arier durchweg aus Mitteleuropa gekommen sein müssen.
Sobald nun diese Mitteleuropäer in gewaltigen Schüben, obwohl sehr langsam erobernd nach Ost, West und Süd vorgedrungen sind, ist mit ihrer kraftvollen Herrschaft und nur während der vollen Blüte dieser Herrschaft die Erscheinung verknüpft, daß die Zivilisation der Neuländer, wenn auch nur ganz allmählich zu solcher Höhe eigentlicher Kultur heraufgeführt wird, wie sie weder vorher noch später der ungemischten Eingeborenenbevölkerung zu erreichen möglich war. Darum sind wir gezwungen, anzunehmen, daß gerade in dieser mitteleuropäischen Rasse die Vorbedingungen zur Erreichung der Kulturblüte gegeben waren. Wenn auch nicht die Kultur selbst, so hat diese Rasse in ihrem Geblüts doch die Anlage mitgebracht, die sie zum Höchsten befähigte.
Damit ist für jedes folgerichtige Denken der Beweis schon erbracht, daß der im Norden und in Mitteleuropa zurückgebliebene und dort wurzelhafte Hauptstamm dieser Seitentriebe, gewissermaßen das noch unangegriffene Hauptkapital unvermischter arischer Urkraft, jene Anlagen in voller Sättigung, sozusagen in Reinkultur, besessen haben muß, vermöge derer die Arier in ganz Europa und Vorderasien zur Herrschaft und Kulturblüte gelangten.
Es waren das keine anderen Anlagen, als die uns schon bekannten der Altgermanen.
Diese Arisierung Europas, im Grunde nichts anderes als eine Germani- sierung, hatte so ungeheure Volksmengen aus Mitteleuropa hinausgeführt, daß beim Uebergang aus der Stein- in die. Bronzezeit und während der Frühperiode der Bronzezeit der größte Teil Norddeutschlands völlig entleert ist. Doch das währt nicht lange; in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausend v. Ehr. dringen neue, reinste Germanen aus Skandinavien südwärts nach Norddeutschland. Das sind diejenigen Germanenstämme, die Germanen geblieben sind bis zum Anbruch geschichtlicher Zeit. Sie sind es, die in den anderthalb Jahrtausenden bis auf Cäsar, allmählich ganz Deutschland erobern, südlich bis zur Donau, westlich noch weit über den Rhein nach Belgien; ins Moselland und Elsaß hinein.
Betrachten wir nunmehr die Eigenhöhe der Kultur dieser unserer eigentlichen Vorfahren bald nach ihrer Einwanderung in Norddeutschland während der älteren Bronzezeit, im besonderen während der zweiten Periode der Bronzezeit, um 1600 herum, wie sie sich aus den Baumsargfunden Schleswig-Holsteins und Jütlands vor unseren Augen enthüllt. Schon eine oberflächliche Vergleichung dieser germanischen Funde mit den gleichzeitigen Schöpfungen anderer europäischen