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hat dann weiter das Entstehen des Museums, Paul Orientes Arbeit daran, sein Wirken in der Prignitz, seirr Ringen um die Gedanken, die ihn erfüllten, geschildert. Aber es ist nur natürlich, daß in diesem Nachruf bon ihrer Hand so wenig davon zu lesen steht, was sie für dies Kulturwerk, seiue Entstehung und Durchführung getan hat. Sie hat das größte getarr, was Menschen, die ari leitender Stelle stehen, tun können: sie hat der Kraft Raum gegeben, die zu Hohem berufen, sich auszuwirken strebte. Sie hat mit voranseilcndem Verständnis begriffen, was hier werden wollte, und die Hindernisse, die sich auftürmten, oft bergehoch auftürmten, aus dem Wege geräumt, in dein festen Zutrauen, daß sie einer guten Sache damit diente.
Blicken wir einmal genauer zu, welche Eigenschaften sich verbinden mußten, um der vielbeschäftigten Frau die Kraft und die unermüdliche Ausdauer zu geben, auch noch diese Last auf sich zu nehmen. In erster Linie war es eirr hohes Pflichtgefühl, ein Pflichtgefühl, das weit über die Grenzen, die ihr Amt und ihr Beruf ihr gezogen hatten, hinansgriff. Sie kannte das bequeme Wort nicht: „Das gehört nicht zu meiner Ausgabe" oder „Das geht über meine Kraft". Aufgabe war ihr alles, worin sie anderen dienen konnte Da gab es einfach keine Grenze für sie. Wo sie helfen konnte, stellte sie sich dem Höchsten und dem Geringsten mit allen Kräften des Geistes und des Herzens, die Gott ihr in so reichem Maße geschenkt hatte, schrankenlos zur Verfügung. Und Kraft? Wo Gott ihr eine Aufgabe stellte, würde er ihr nicht auch die Kraft dazu geben?
Ihre Sache war es nicht, danach zu fragen, sondern ihre Pflicht zu tun. Das
war der Sinn, in dem sie durch 24 Jahre hindurch ihr Amt, das sie zu einem wahrhaft priesterlichen gestaltet hatte, ausübte. Nur das erklärt die gewaltige, schier unbegreifliche Arbeitsleistung, die sie in ununterbrochenen: Wirken bewältigte, auch als schwere Krankheit ihre Gesundheit tief erschüttert hatte.
Aber dies Pflichtgefühl war nichts äußerliches, es war von der lebendigsten Liebe getragen, von mütterlicher Liebe. Mütterliche Liebe gab ihr den tiefen Blick des Verstehens für den sungen, unbekannten, armen und heimatlosen Menschen, der in den Abteigarten trat und sagte: „Hier bin ich zu Hause". Mütterliche Liebe ließ sie glauben und die Erfüllung sehen, wo erst schüchterne
Keime sich zeigten. Ihre Liebe hatte in Wahrheit etwas von der göttlichen
Langmut, sie war auf Hoffnung gestellt und einfach nicht zu ernmden. Wie erwies sich das auch immer von neuem in ihrem Erziehungswerk an den Kindern und nicht nur an den Kindern. Und welche Früchte trug es? Unter dem milden Sonnenglanz dieser Liebe erstarkten und wuchsen die Kräfte zum Guten, da wurde, was sie hoffend geglaubt hatte, zur schönen kraftvollen Wirklichkeit. Mütterliche Liebe trug sie auch für ihr Volk im Herzen. Auch hier sah sie durch alles Verkehrte, Kranke, Wirre hindurch das, was sie von ihrem deutschen Volke hoffte und glaubte. Und auch in den dunkelsten Zeiten nach dem Kriege hat sie diesen Glauben nie verloren. Mütterliche Liebe war es, was ihr Herz für die Prignitz erfüllte! Es gehörte zu den größten Freuden ihres Lebens, daß sie der Prignitz durch ihren Pflegesohn, durch das Museum so viel reiche Anregung, Vertiefung, Fülle guter Gedanken hatte vermitteln können.
Das Museum wuchs. Raum um Raum des alten Archives wurde erschlossen. Von nah und fern kamen die Besucher und trugen ein neues Weltbild, ein vertieftes Bewußtsein von dem Wesen ihres Volkes mit sich heim. Da war sie so gern mitten unter ihnen, wies ihnen die neuen Funde, freute sich, wenn ihr gute Bauernart entgegentrat, ehrte jeden Stand, da sie ein starkes Bewußtsein dafür hatte, wie alle Glieder eines Volkes ineinander greifen, jedes unentbehrlich an seiner Stelle und darum jedes berechtigt, hoch geachtet zu werden. Wie liebte sie es, den Handwerker Meister zu nennen und glaubte ihn damit höher zu ehren, als mit dem farblosen, neumodischen Worte Herr. Und wie dankbar bekannte sie immer wieder, daß sie nicht die Gebende, sondern die Empfangende war in solchen: Zusammensein mit den Prignitzern.