Heft 
(1892) 71
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Deutsche Rundschau.

Vierzehntes Capitel.

Der nächste Tag war ein Sonntag, und die Stimmung, in der sich das Treibel'sche Haus befand, konnte nur noch dazu beitragen, dem Tage zu seiner herkömmlichen Oedheit ein Beträchtliches zuzulegen. Jeder mied den Andern. Die Commerzienräthin beschäftigte sich damit, Briese, Karten und Photographien zu ordnen, Leopold saß auf seinem Zimmer und las Goethe (was ist nicht nöthig zu verrathen), und Treibet selbst ging im Garten um das Bassin herum und unterhielt sich, wie meist in solchen Fällen, mit der Honig. Er ging dabei so weit, sie ganz ernsthaft nach Krieg und Frieden zu fragen, allerdings mit der Vorsicht, sich eine Art Präliminar-Antwort gleich selbst zu geben. In erster Reihe stehe fest, daß es Niemand wisse,selbst der leitende Staatsmann nicht" (er hatte sich diese Phrase bei seinen öffentlichen Reden angewöhut), aber eben weil es Niemand wisse, sei man auf Sentiments angewiesen, und darin sei Nie­mand größer und zuverlässiger als die Frauen. Es sei nicht zu leugnen, das weibliche Geschlecht habe was Pythisches, ganz abgesehen von jenem Orakelhaften niederer Observanz, das noch so nebenherlaufe. Die Honig, als sie schließlich zu Worte kam, faßte ihre politische Diagnose dahin zusammen: sie sähe nach Westen hin einen klaren Himmel, während es im Osten finster braue, ganz ent­schieden, und zwar oben sowohl wie unten.Oben wie unten," wiederholte Treibet.O, wie wahr. Und das Oben bestimmt das Unten und das Unten das Oben. Ja, Fräulein Honig, damit haben wir's getroffen." Und Czicka, das Hündchen, das natürlich auch nicht fehlte, blaffte dazu. So ging das Gespräch zu gegen­seitiger Zufriedenheit. Treibel aber schien doch abgeneigt, aus diesem Weisheits­quell andauernd zu schöpfen, und zog sich nach einiger Zeit auf sein Zimmer und seine Cigarre zurück, ganz Halensee verwünschend, das mit seiner Kaffeeklappe diese häusliche Mißstimmung und diese Sonntags-Extralangeweile herauf­beschworen habe. Gegen Mittag traf ein an ihn adressirtes Telegramm ein: Dank für Brief. Ich komme morgen mit dem Nachmittagszug. Eure Hilde­gard." Er schickte das Telegramm, aus dem er überhaupt erst von der erfolgten Einladung erfuhr, an seine Frau hinüber und war, trotzdem er das selbständige Vorgehe" derselben etwas sonderbar fand, doch auch wieder aufrichtig froh, nun­mehr einen Gegenstand zu haben, mit dem er sich in seiner Phantasie beschäf­tigen konnte. Hildegard war sehr hübsch, und die Vorstellung, innerhalb der nächsten Wochen ein anderes Gesicht als das der Honig aus seinen Gartenspazier- gängen um sich zu haben, that ihm Wohl. Er hatte nun auch einen Gesprächs­stoff, und während ohne diese Depesche die Mittagsunterhaltung wahrscheinlich sehr kümmerlich verlaufen oder vielleicht ganz ausgefallen wäre, war es jetzt wenigstens möglich, ein paar Fragen zu stellen. Er stellte diese Fragen auch Wirklich, und Alles machte sich ganz leidlich; nur Leopold sprach kein Wort und war froh, als er sich vom Tisch erheben und zu seiner Lectüre zurückkehren konnte.

Leopold's 'ganze Haltung gab überhaupt zu verstehen, daß er über sich be­stimmen zu lassen, fürder nicht mehr Willens sei; trotzdem war ihm klar, daß er sich den Repräsentationspflichten des Hauses nicht entziehen und also nicht