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Melier Land und Meer.
der Porträtfeinde auf die photographische Platte. Wie erschraken die Aermsten! Während ich zum Apparat lief, um die Kassette zu schließen, goß der eine Muselmann mutig und schneidig eine Flasche Jngmerbier, die er gerade in der Hand gehalten hatte, aus die ganz unschuldige Lampe aus, der andre aber war bei der Entladung zu Boden gestürzt und lag winselnd auf der Nase. Auf dein Tisch aber blieb alles so schön und ruhig stehen, wie ich es vorbereitet hatte: mein „Himalaya-Album", in dem ich einige Ergebnisse meiner Himalaya-Besteigungen verewigt habe, und davor das schelmisch lächelnde Bildnis meiner Frau, das sie mir stets als Memento in das Land der schokoladefarbigen Bajaderen mitzugeben pflegt. -
Nr. 1. Teil des Hauptbeweisstückes, das zur Verurteilung des Angeklagten führte.
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Von
6 H 617 ,
Maienfeld bei Ragaz (Schweiz), November 1897.
er Name Dreyfns ist jetzt in aller Munde, und jedermann weiß, daß er jenem Unglücklichen angehört, der vom französischen Kriegsgerichte angeklagt und verurteilt wurde, weil er wichtige militärische Dokumente einer fremden Macht ausgeliefert habe. Deportation für Lebenszeit ans die Teufelsinsel war die Folge dieser Verurteilung.
Ein Hauptbeweisstück bei den Gerichtsverhandlungen bildete ein Verzeichnis ausgelieferter Dokumente, das vielerwähnte „boräarsLuch das Dreyfns geschrieben haben sollte. Mit Emphase ruft der Regierungskommissar den Richtern in der Anklageakte zu: „Dieses Schriftstück
stammt von der Hand des Generalstabsoffiziers Hanpt- mann Dreyfus; der Kommandant Paly de Clam hat es bestätigt, die Herren Bertillon, Charavay und Teysson- nieres haben es ebenfalls bestätigt; ich erkläre, daß es von seiner Hand geschrieben ist, und Sie, meine Herren, Sie werden es ebenfalls erklären und diesen Mann verurteilen!"
Und so geschah es. Aber nicht alle jene, die sich für dir Sache interessierten, waren ebenso fest überzeugt wie der Regierungskommissar. Dreyfns hatte viele treue Freunde und Angehörige, die nicht aufhörten, für ihn zu wirken, und mit einem hochangesehenen, unabhängigen Mann an ihrer Spitze — Schenrer-Kestner in Paris — erreichten sie es jetzt endlich, die Aufmerksamkeit der gebildeten Web nochmals auf die Affaire Dreyfus zu lenken, die der denk bar entsetzlichste Justizmord wäre, wenn es sich bestätigen sollte, daß Dreyfus ungerechterweise verurteilt worden ist Es steht nun zu hoffen, daß der Prozeß noch einmal aus genommen und gerecht durchgeführt werde.
Weder sein Vorleben noch seine Verhältnisse oder sein Charakter leiteten den Verdacht auf Dreyfus er war ein unbescholtener Mann. Die Haupt argumente gegen ihn bildeten obengenannte; Bordereau und die Bemerkung eines aus ländischen Militärattaches in Paris, der in einem chiffrierten Brief gesagt hatte: Deel äklneut 66t uuimul äe Orezckrw äevisul trop sxiZeavt (Dieser Schafskopf von Treysas wird uns nachgerade zu anspruchsvoll), Es ist klar, daß in betreff des fraglichen Bordereaus, dessen Bruchstück hier in Gliche Nr. 1 reproduziert ist, die Graphologie ein gewichtiges Wort sprechen muß, namentlich in Frankreich, der Wiege der modernen graphologischen Wissenschaft, dem Lande, da; die bedeutendsten Graphologen besaß und besitzt: Michou und Crspieux-Jamin, und m das Interesse für die graphologische Wissenschaft in die breitesten Schichten der Bevölkerung gedrungen ist.
Die Freunde und Angehörigen des Verurteilten haben denn auch Graphologen von Fach und Namen um ihr Urteil gebeten, und diese erklärten einstimmig, Dreyfus hak das Bordereau nicht geschrieben. Das Gliche Nr. 2 giebt seine Handschrift wieder, wie sii 1890, also vor der Anklage, war.
Zwar ist eine gewisse oberflächliche Ähnlichkeit der beiden Schriftproben vorhanden, die wohl auf einem ähnlichen Bildungsgang und ähnlicher Lebensstellung, auf ganz ii» allgemeinen aufgefaßter Ähnlichkeit der Anlagen beruhen mag, allein geht man in di! Einzelheiten ein, so findet man rasch P ausgesprochene Differenzen, daß man sich sagen muß: dal kann die gleiche Hand nicht geschrieben haben. Der Leser beachte nur folgende Punkte:
1. Wie klar, fest, harmonisch, gleichmäßig, formeuschö» in vielen Buchstaben schreibt Dreyfus, und wie charakterlos ungleich, sowohl in Bezug auf Höhe, Lage und Bildung der einzelnen Buchstaben als auch auf Linienführung und -Entfernung ist das Bordereau geschrieben! Starken Versuchungen kann der Schreiber nicht gewachsen sein, Wahrheitsliebe, Ueberzeugungstreue, fester Mannesmut fehlen unbedingt bei solch einer schwachen, wechselvollen, unleserlichen Schrift mit den fadenförmig verlaufenden Vollendungen und schlecht geformten, oft kaum angedeuteten Buchstaben. Wer so schreibt, ist ein Spielball äußerer Einflüsse, eigner Schwächen und Leidenschaften; er ist )» nichts resistenzfähig, und hintendrein intrigiert er und kneif feige aus, um nicht zu seinem Thun stehen zu müssen Gewissenlos verdächtigt er andre und läßt es ruhig zn daß ihnen das entsetzlichste Unrecht geschieht, wenn nur er dadurch der verdienten Strafe entgehen kann.
In der Schrift Dreyfus' (Nr. 2) prägt sich dagegen ei», ganz andrer Charakter ans. Zwar hat auch er etwas vo»