Heft 
(1897) 06
Seite
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rühmten Professor der Philosophie in M. mit der Neu-Ausgabe eines pädagogischen Standwerkes zu be­trauen, und es war unerläßlich, daß ich mich mit meinem Mitarbeiter möglichst bald besprach. So trat ich denn die Reise an, ohne Professor Klinger vor­her zu benachrichtigen; ich wußte ja nicht, wann und wie lange ich meine amtlichen Geschäfte mit dem Privatbesuch angenehm unterbrechen konnte.

Wider Erwarten schnell war ich mit meinem Mitarbeiter einig geworden. Als wir nach Beendi­gung unsrer Konferenz in seinem Hause bei Tische saßen, brachte ich die Rede auch aus meinen ehe­maligen Schüler, den ich folgenden Tages besuchen wolle.

Ah, ja, der Herr Professor Klinger," sagte mein freundlicher Wirt er mochte wohl noch einige Jahre mehr zählen als ichnun, das ist ja eine sehr tüchtige Kraft. Den haben Sie erzogen? Da müssen Sie ja viel Freude an ihm gehabt haben."

Er nimmt Wohl auch gesellschaftlich eine besondere Stellung ein?" fragte ich.

Nun ja," erwiderte der Philosoph etwas ge­dehnt,gewiß - allerdings, es ist da etwas wie sagt man doch, liebe Hermine, wer erzählte uns doch neulich?" wandte er sich an seine Gattin.

Tie würdige alte Dame schien etwas verlegen zu werden.Ich weiß wirklich nicht, Lebrecht," antwortete sie,der junge Herr wird eben sehr beschäftigt sein, das wird man dir wohl erzählt haben, er arbeitet ja an einem neuen Werke."

Dann lenkte sie mit einer Frage an mich das Gespräch ab, und ihr Gemahl fiel lebhaft ein; mir war, als ob die beiden irgend etwas von meinem Zögling wüßten, was sie vor mir nicht gern erörtern wollten.

Am folgenden Tage machte ich denn meinen Besuch. Eine vornehme Villa im sogenannten Ge­heimratsviertel mit Vorgarten und Portikus wahrhaftig, so etwas gab es bei uns in unserm Städtchen nicht.Nun, in dieser Umgebung wird sich sein Talent ja wohl heimisch fühlen," dachte ich vergnügt und zog den Klopfer.

Ein würdevoll aussehender Diener öffnete, aber gleich hinter ihm erschien der Hausherr selbst, bei­nahe, als ob er auf mich wartete. Sehr herzlich begrüßte er mich.Nun wollen wir eins plaudern." Dabei schritt er mir voran durch die hohe, mit Statuen und Blattpflanzen geschmückte Halle, die breite Treppe hinauf, aus der mein Fuß tief in den weichen Läufern einsank, zwei Stockwerke hoch, und öffnete eine kleine Thür.Hier, mein Arbeits­zimmer nun nehmen Sie Platz, machen Sie's sich behaglich. Ich war von Ihrem Besuche bereits im voraus unterrichtet, ist das nicht hübsch? Unser großer Philosoph begegnete mir gestern nachmittag auf dem Wege zum Colleg und erzählte mir davon. Merkwürdig, nicht wahr? Aber wie wohl Sie aus- sehen! Ordentlich verjüngt!"

Er sprudelte das alles etwas hastig, fast ver­legen hervor, dann lief er wieder zur Thür, drückte an die .Klingel und redete leise mit dein Diener. Sein Kompliment hätte ich ihm wahrhaftig nicht zurück­

geben können. Die in ein einfaches Arbeitsgewand gekleidete Gestalt war recht hager und ein wenig gebeugt, unter der hohen Stirn blickten die Augen unsicher und übermüdet hervor.

Ja, sehen Sie, das ist mein Arbeitszimmer." Es war ein mittelgroßes, Helles Gemach, sehr ein­fach ausgestattet. Auf dem breiten Schreibtisch Bücher und Manuskripte. Er griff nach einem.Das wird Sie gewiß interessieren Sie nehmen doch eitrige Erfrischungen? Eine Zigarre? Bitte hier Ja, was sagen Sie dazu?" auf das Manuskript deutend. Indem wir auf das wissenschaftliche Gebiet einlenkten, wurde sein Wesen allmählich ruhiger; zwischendurch erkundigte er sich auch herzlich nach allerlei Dingen und Menschen ans meinem Kreise, machte durchaus den gastlichen Wirt der Diener hatte Wein und andre Erfrischungen gebracht. Meine Erkundigung nach seiner Frau beantwortete er kurz:O, danke alles wohl."Mein Gott," dachte ich schließlich, es giebt ja gewisse Fälle in einem jungen Ehestand begreiflich, daß er etwas aufgeregt ist, weint das große Ereignis herannaht dann ist die junge Frau natürlich auch nicht zu sprechen. Aber jenes alte Pärchen darum brauchte es doch nicht so ge­heimnisvoll zu thun freilich, die haben selber nie welche gehabt."

Folgenden Tages wollte ich mit dem Abendznge heimsahren. Professor Klinger bestand darauf, daß er mich am Nachmittag vorher im Gasthof abholen wolle, um mir auf einer Spazierfahrt einiges von der Umgebung der Stadt zu zeigen und mich zur Bahn zu bringen. Vormittags hatte er von zehn bis zwölf Seminar, und für heute war er leider durch eine Sitzung der Prüfungskommission mit Be­schlag belegt.

Am folgenden Morgen beim Frühstück erhielt ich ein Briefchen, von Tamcnhand adressiert. Es enthielt in ziemlich unsicheren Zügen die kurze Bitte der Frau Professor Klinger, sie doch zwischen zehn und zwölf zu besuchen.

Ein paar Stunden darauf stand ich wieder in der vornehmen Villa, diesmal in einem mit dem ganzen Luxus unsrer Zeit ansgestatteten, für meinen Geschmack überladenen Gemach.

Aus dem schönen jungen Mädchen von ehemals war eine schöne junge Frau geworden. Ich konnte es begreifen, wie diese elegante Erscheinung in dem glänzenden Nahmen des Reichtums, der sie tungab und von klein auf ihr vertraut war, meinen frisch aus dem Gymnasialstüdtchen gekommenen Studiosus bezaubert hatte. Aber seltsam: auch aus ihren blassen Zügen sprach etwa? wie ein tiefer Gram, und durch die konventionellen Redewendungen, mit denen sie mich empfing, klang noch weniger verkennbar als bei ihrem Gatten eine große Verlegenheit.

Wie haben Sie Leopold gefunden?" fragte sic plötzlich.

Ich ich fürchte, er arbeitet zn viel," ant­wortete ich zögernd.Sie müssen schon zusehen, daß Sie ihn ein wenig den Büchern abspenstig machen."

Sie streifte mein Gesicht mit einem seltsam scheuen, forschenden Blick.Hat er Ihnen nichts