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Ueöer Land und Weer.
Iahrmarktsöummel.
Von
Adeke Kindermann.
er Negerfürst aus dem tiefsten Innern Afrikas! Lebend eingesangen! Zehn Pfennige die ü Person! Versäume doch keiner die Gelegenheit, geehrte Herrschaften! Ansnahmspreise nur heute!"
Manchmal mußte er feine Rede unterbrechen, der Mann mit der Herkulesfigur, der an der Kasse stand, weil ein schauerliches Geheul aus dem Innern der Bude tönte und eine schwarze Teufelshand an langem, dürrem Arm sich drohend durch die Gitterstäbe reckte.
Die Primaner, die draußen durch die Reihen wandelten, sandten durch ihre Klemmgläser mitleidigspöttische Blicke über den „Klimbim"; die Sextaner griffen in die Taschen und wühlten nach einem Zehnpfennigstück, und den kleinen Mädchen sträubten sich vor Entsetzen die Haare, soweit die festgeflochtenen braunen und blonden Zöpfchen dies zuließen.
Es mußte doch gräßlich schön sein!
Wieder heulte der Unhold, wieder krallte sich die furchtbare Hand um die Eisenstäbe und rüttelte wütend daran, bis der Mann mit der Herkulesfigur, der mit einer Art Speer bewaffnet war, ihm ein zitterndes Kaninchen durch das Gitter reichte.
Es war ein niedliches Weißes Tierchen mit gelben Flecken — nebenbei bemerkt: noch fünfmal im Laufe des Nachmittags sah ich dieses gelbgefleckte Kaninchen hinter dem Eisengitter verschwinden.
„Meine Herrschaften, er frißt es lebend mit Haut und Haaren; bis vor zwei Monaten hat er überhaupt nichts andres als Menschenfleisch gefressen — morgen wieder zwanzig Pfennig der Eintritt, heute nur Zehn Pfennig die a Person!"
Meine Freundin Julie zupfte mich am Aermel: „Da muß ich hinein, und wenn es dreißig Pfennig ,die ä Person' kostete!" raunte sie mir zu. Sie kam aus Berlin und fahndete bei uns fortwährend auf Kleinstadtkomik. Das ärgerte mich eigentlich etwas.
Denn so arg Kleinstadt sind wir gar nicht. Wir haben eine Dampsbahn, aus die wir mit Recht stolz sind, einen Klingelwagen, der, wenn die Pferde nicht gerade anderweitig gebraucht werden, jede Stunde pünktlich nach der Bahn fährt; wir haben weiter eine bis zehn Uhr erleuchtete Rathausuhr, drei veri- table Gigerln (der vierte arbeitet noch an sich, und ich zweifle fast, daß er den göttlichen Funken zu seinem Berus in sich hat) und zwei Geschäfte, in denen man an der Kasse Zahlt. Mehrere Buch- und Kunsthandlungen bieten in ihren Schaufenstern stets die neuesten Erscheinungen aus allen Gebieten, so Zum Beispiel Illustrationen aus dem Trompeter von Säkkingen, die Königin Luise in Kabinett-, Boudoir- und Paneelsormat, und letzthin eine mit Röntgenstrahlen photographierte Hand. Herr Aßbach hat seiner Leihbibliothek neuerdings einige Suder- manns einverleibt, denn er ist ein Mann, der mit seiner Zeit sortschreitet und es als Ehrenpflicht be
trachtet, seine Leser auch mit den „Allerjüngsten" bekannt zu machen; zwei Regierungsassessoren und Frau Doktor Wellmann halten die „Neue Kunst", und Pastor Berg malt nicht nur selbst, sondern spricht auch sehr gewandt über klein-Lir. Was diese Großstädter nur denkend Es giebt auch bei uns Bildung, Fortschritt, Emanzipation! Es ist zum Beispiel so gut wie verbürgt, daß die drei Hande- mannschen Töchter öfters Zigaretten rauchen; sogar eine radsahrende Dame hatten wir kürzlich zu verzeichnen; allerdings mußte sie, da sie die Kühnheit so weit trieb, in Hosen zu radeln, sich gefallen lassen, von der Gesellschaft lautlos aber unerbittlich ansgestoßen zu werden. Sie zog von M. fort, nach Dresden, wo solche Blüten der Decadence wohl besser gedeihen mögen als bei uns. Wenn ich nach all diesem noch hinzufüge, daß wir alljährlich unsre zwei bis drei Skandälchen haben, die sich denen von Berlin 0., 8. oder bl. würdig an die Seite stellen könnten, wird man mir zugestehen müssen, daß wir für jemand, der auf Kleinstadtkomik fahndet, auch nicht die geringste Handhabe bieten.
Um so mehr verletzte es mich, wenn ich meine Freundin Julia stets mit amüsiertem Lächeln umhergehen und von Zeit zu Zeit etwas in ein elegantes grünledernes Notizbuch kritzeln sah. O ja, sie ging sehr systematisch vor, im Interesse ihrer Joursix-Gäste für den kommenden Winter! Ich sah uns schon alle in ihrem Salon karikiert: die gute Frau Kanzleirat Alvers, die sich von uns jeden eben gekauften Hasen borgte, um ihn der Frau Müller drüben zum Aerger ein paar Tage unter ihr Küchenfenster zu hängen; ich hörte sie — Julia — schon ganz deutlich in Berlin erzählen von der geistigen Nahrung in M., die aus vier Konzerten des Gesangvereins „Wohlgemut" und den Leipziger Quartettsängern bestehe. Hatte sie mich doch grinsend gefragt, ob wir das alles auch in den kurzen sechs Wintermonaten verdauen könnten, ohne unfern Nerven zu schaden! Unsre Wohnungseinrichtungen, auch die anerkannt stilvollsten, wirkten bei ihr lediglich aus die Lachmuskeln, denn in ihren Augen sing der Mensch erst an, vollwertig ernst genommen zu werden, wenn er im Queen-Anne-Stil möbliert war, sich mit englischem Velvet umgab, für französische Gobelins schwärmte und deutsche Radierungen nur dann gelten ließ, wenn darauf die Bäume wie umgedrehte Besenstiele und das Wasser wie Trichinen im Mikroskop ausschauten.
Diese letzte Bemerkung war ich so unvorsichtig, ihr gegenüber zu äußern, was mir einen vernichtenden Blick, ein mitleidiges Achselzucken und ein paar Worte, die nach „inferiorer Geschmack" klangen, eintrug. Darauf öffnete sie stumm das entsetzliche grüne Notizbuch und schrieb. Ich glaube, ich werde nie mehr grüne Notizbücher leiden können.
Ja so, und nun wollte sie den Negersürsten sehen. Sie stand schon oben an der Kasse und ich neben ihr, ehe ich's mich versah.
„Das ist recht, meine Damen, die Vorstellung wird sofort beginnen. Zehn Pfennig? Nun ja.