Heft 
(1897) 06
Seite
92
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Ueues vom WücherLisch.

Von

Waut von Szczepanski.

/Einige Vorgänger des gegenwärtigen Direktors des Hof- ZW burgtheaters in Wien, Mar Burkhard, waren bekannte Schriftsteller, ehe sie auf diesen Posten berufen wurden. Max Burkhard ist zuerst Direktor des Hofbnrg- theaters und dann plötzlich ein bekannter Schriftsteller ge­worden. Man konnte es jüngst in allen Feuilletonspalten der Tagesblätter lesen, das; er einen Roman und zwei Theaterstücke geschrieben hat, und nicht nur geschrieben hat, sondern das; der erstere auch einen Verleger gefunden hat und die andern zur Ausführung angenommen oder bereit? aufgeführt sind. Die beiden Theaterstücke von Max Burk­hard kenne ich nicht; den RomanSimon Thums. Einige Tage aus seinem Leben" (Stuttgart, Verlag der I. G. Cottaschen Buchhandlung Nachfolger) habe ich nicht versäumt zu genießen. Es scheint mir nach dieser Lektüre nicht zweifelhaft, daß Max Burkhard als Schriftsteller weniger schnell bekannt geworden untre, wenn er nicht vor­dem schon Direktor des Wiener Hofburgtheaters gewesen wäre.Simon Thums" ist eine Charakterstndie und hat als solche den Vorzug der Gründlichkeit; als Roman be­trachtet, als den sich diese Charakterstudie giebt, aber auch den Nachteil einer altmodischen Schwerfälligkeit der Dar­stellung, die für den modernen Geschmack recht ungenießbar ist. Das liegt nicht nur an der Weitschweifigkeit des Er­zählers, der die nebensächlichsten Aeußerlichkeiten mit der­selben Wichtigkeit behandelt wie charakteristische Züge, sondern auch an einem technischen Ungeschick, das den plötz­lich bekannt gewordenen Autor doch unschwer als einen litterarischen Anfänger erkennen läßt. Max Burkhard er­zählt nämlich nicht nur, was sein Held thut, sondern zählt auch gewohnheitsmäßig vieles von dem aus, was er nicht thut, und außerdem baut er manchmal Sätze von siebzehn bis zwanzig Druckzeilen Umfang. Gewohnheiten, mit denen sich ein moderner Leser schwer befreundet. Eine weitere Frage scheint mir die zu sein, ob der Charakter des Helden Simon Thums interessant genug ist, um einer so eingehen­den Darstellung gewürdigt zu werden. Thums ist seines ZeichensRechtspraktikant"; eine Stellung, die wohl dem deutschen Referendar entspricht. Seinem Charakter nach ist er ein vollendeter Lump, innerlich und äußerlich ein Schmier­fink erster Klasse. Trotzdem, oder vielmehr gerade deshalb, kommt er vorwärts. Er heiratet ein wohlhabendes Mädchen, nimmt mit Geschick Anteil an den nicht eben sauberen

Geschäften seines Schwiegervaters, wird selbst ein vermögen­der Mann, der sich's im Leben wohl sein läßt, und als er an voller Tafel schmerzlos hinnbergeschlummert ist, rufen ihm die Totenkänzchen der Tageszeitungen allerlei Rühmens­wertes nach. Solche Lebensläufe sind, nicht nur in Oester­reich, nicht selten. Aber als Max Burkhard einen derselben in dieser breiten Weise dichterisch zu verwerten suchte, hat er eigentlich doch nichts andres gethan, als das, was er selbst seinem Helden Simon Thums zum Vorwurf macht, der in seiner Jugend auch von einem gewissen litterarischen Ehrgeiz gequält wurde.Schon der erste Aufsatz, mit welchem Simon Thums in dem allerdings mit unfreiwilligem Ausschluß der Oessentlichkeit erscheinenden ,Organe der freien Vereinigung zur beschleunigten Herbeiführung der Zukunft* sich eingeführt hatte, war von sensationeller Wirkung gewesen. Mt freimütiger Rücksichtslosigkeit war Thums allen ererbten Vorurteilen entgegengetreten. Klar und scharf hatte er bewiesen, daß das Schöne nicht nur nicht der ausschließliche Gegenstand der Kunst sei, daß es vielmehr überhaupt nicht zum künstlerischen Vorwurf ge­nommen werden dürfe. In kalter Folge zwingender Ver­nunftschlüsse hatte er dargelegt, daß nur das Häßliche, das Widerliche, das Abstoßende, das Ekelerregende das Objekt der Kunst sei, und daß die Aufgabe derselben darin bestehe, durch stete Vorführung des Scheußlichen, Niedrigen und Gemeinen die Wertschätzung des Schönen, Erhabenen und Edeln zu steigern. Wohl hatte ein anonymer Neider in einer der nächsten Nummern des ,Organs der freien Ver­einigung zur beschleunigten Herbeiführung der Zukunft* mit kaum verschleierter Bezugnahme ans die ästhetische Abhand­lung Thumsens darauf hingewiesen, daß die Steigerung der Wertschätzung des Schönen, Erhabenen und Edeln über­haupt nicht Aufgabe der Kunst, daß die Darstellung des Häßlichen, des Widerlichen, des Ekelerregenden ihr das Wesen der Kunst erschöpfender Selbstzweck sei aber auch die Gegner der Thumsischen Theorie mußten ver­stummen und ihr Gebell gegen den aussteigenden Stern einstellen, als Simon Thums sich mit kühnem Sprunge vom schwankenden Boden der Theorie auf das feste Land der Praxis schwang und in einem mit vornehmer Ver­achtung des Verses und jedes rhythmischen Baues hin­geworfenen Gedichte die Seelenzustünde eines Weibes analy­sierte, das, nachdem es jahrelang als Dirne die Straßen