durchstreift hatte, nunmehr den Gedanken erwog, selbst eine Stätte der Freude zu gründen, um jene Genüsse zu vermitteln, die von ihr unmittelbar niemand mehr entgegennehmen wollte. Mit seinen psychologischen Zügen war eine Lebenswahre Schilderung des verlotterten Heims der Heldin, ihres verwüsteten Körpers und ihrer schmierigen Eleganz in meisterhafter Weise verbunden — und der Ruhm von Simon Thums war begründet." Max Burkhards Roman ist ganz nach den Kunstanschauungeil entstanden, die Simon Thums in seinem Feuilleton „in kälter Folge zwingender Vernunftschlüsse" niedergelegt hat, „daß nur das .Häßliche, das Widerliche, das Abstoßende, das Ekelerregende das Objekt der Kunst sei, und daß die Aufgabe derselben darin bestehe, durch stete Vorführung des Scheußlichen, Niedrigen und Gemeinen die Wertschätzung des Schönen, Erhabenen und Edeln Zu steigern", und der Held, den sich Max Burkhard für seinen Roman erwählt hat, ist uni kein Haar bester, angenehmer oder auch nur appetitlicher als die alte Vettel, die Simon Thums selbst besungen hat. Trotzdem sind zwischen Mar Burkhard und Simon Thums zwei große Unterschiede: Max Burkhard schildert seinen Helden Simon Thums aus eiuein großen moralischeil lind ästhetischen Unbehagen an ihm heraus — Simon Thums ist von diesem Unbehagen an seiner Heldin gänzlich frei. Das spricht für die höhere Moral des Direktors des Wiener Hofburgtheaters. Ter zweite Unterschied ist der, daß Simon Thums sich mit seiner Heldin in einem Gedicht abfindet, das den Leser höchstens fünfzehn Minuten in Anspruch nimmt, während Max Burkhard seinem Helden einen Roman widmet, für den man selbst als Schnellleser mindestens drei Stunden braucht — und das spricht für den besseren ästhetischeil Geschmack des Rechtspraktikanten Simon Thums. Es ist gut, wenn bei künstlerischem Schaffen die höhere Moral lind der ästhetische Geschmack zusammengehen; aber das unentbehrlichere von beiden: ist sicher der letztere. Vielleicht' liegt der Fehler, den Max Burkhard gemacht hat, auch nur daran, daß er seinen Helden nicht nur selbst lind sicher zu eingehend als ein Ekel geschildert, sondern ihn auch in ein Milieu gestellt hat, das ihm an unangenehmen Eigenschaften nicht viel uachgiebt. Auf die Schlüsse, die man aus seiner Schilderung österreichischer Verhältnisse ziehen könnte, näher Linzugehen, will ich lieber unterlassen. Vielleicht würde mir der plötzlich bekannt gewordene Autor mit demselben Ginwurf begegnen, mit dem mich neulich die österreichische Sittenschilderin Ossip Schubin niedergedonnert hat — dem Ginwurf, daß mir österreichische Verhältnisse gänzlich unbekannt sind. Gäben die Schilderungen Max Burkhards und Ossip Schubins die Grundfarbe, so könnte ich darauf nur erwidern: „Gott sei Dank!"
In dem gleichen Verlage erschien ein Roman „Vom heißen Stein" von Ernst Muellenbach, der uns nach Köln und in das erste Viertel des siebzehnten Jahrhunderts führt. Ernst Muellenbach, als Lyriker und Novellist unter dem Namen Ernst Lenbach längst bekannt lind um der Feinheit seiner Stimmungen und des intimen Reizes seiner Darstellung geschützt, zeigt die gleichen Eigenschaften auch als Romanschriftsteller. Sein Roman „Vom heißen Stein" ist mehr ein kulturhistorischer als ein historischer; er verzichtet auf die Spannung, die die dichterische Nachbildung vergangener großer geschichtlicher Episoden leicht hervorzurufen vermag, und auf das Interesse, das dem Leser aus der Geschichtsstunde bekannte Persönlichkeiten ein- slößen, wenn ihm ihre Namen in der Dichtung wieder begegnen. Der Streit der Völker und der Kampf der Geister — der führenden der Zeit — stehen nur ganz im Hintergründe des kulturgeschichtlichen Bildes, das Ernst Muellenbach entwirft, und werden nur so weit von ihm gestreift, wie notwendig ist, lim den Leser den Einfluß erkennen zu lassen, den sie auf das allgemeine Denken und
Empfinden ausüben. Ernst Muellenbach dichtet nicht Weltgeschichte, sondern Stadtgeschichte, ein Stück Kölner Stadtgeschichte, das zwar längst hinter uns liegt, aus dem der Leser aber, wie aus jeder geschichtlichen Episode, unschwer auch seine Nutzanwendung auf die Gegenwart zu ziehen vermag. Man höre nur, wie Muellenbach in wenigen Strichen die „innerpolitische Lage" jener Zeit in Köln charakterisiert: „Nach dem Buchstaben der Verfassung Hütte freilich von Streitigkeiten zwischen den ,Junkern^ und dem Volke schon seit zweihundert Jahren keine Rede mehr sein können. Denn reichlich so lange war es her, daß der Massendruck des kleinen Bürgertums die Herrschaft der edeln Geschlechter gesprengt und durch eine ganz demokratische Verfassung ersetzt hatte. Der geringste Handwerksmeister besaß, wofern nur sein Beichtzettel in Ordnung war, genau so viel Stimmrecht, Wahlrecht und Wählbarkeit wie der vornehmste Patrizier. Allmählich aber hatte sich auf dem Boden dieser Verfassung doch wieder die schönste Aristokratie entwickelt, indem die führenden Männer des ,Volkesst sobald sie erst zur Teilnahme an der Bracht gelangt waren, die Gesellschaft ihrer früheren adligen Gegner weit angenehmer fanden und sich gleich ihnen von der Menge hoffärtig abschlossen. Das neue Patriziat beherrschte ganz wie bas- alte die Stadt, vererbte seine Stellen im Rate und seine Anwartschaft auf den Bürgermeisterstab an Söhne und Vettern und versorgte die folgsamen Wähler mit der jeweils zweckmäß'gen öffentlichen Meinung. Arbeitete sich einmal ein kleiner Mann durch Tüchtigkeit oder auch durch besonders eifrig bekundete Volksfreundlichkeit, trotz allen Mißtrauens seiner Handwerksgenossen, hinauf bis in den Rat, so wurde er von dem vornehmen Element sehr bald aufgesogen, und die Spuren seiner demokratischen Vergangenheit waren bereits nach einigen Jahren kaum mehr mit der Lupe an ihm zu finden. Herr Winand erklärte sehr gelehrt, das sei im alten Rom mit dein patrizischen und plebejischen Amtsadel gerade so gewesen, der alte Sünder, Meister Baltzer, meinte sogar, es sei überhaupt der natürliche Verlauf der Dinge, und im ganzen ging es auch recht glatt. Zuweilen aber kam eine kleine Stockung in die Maschine, sei es, weil wieder irgend ein begabter Mann, der noch nicht im Rate saß, seine Volksfreundlichkeit entdeckt hatte, oder weil sich eine einzelne Zunft durch irgend einen Ratsbeschlnß in ihrem Geiverbsvertrag geschädigt fand, oder weil der Uebermut eines der Regierenden die Herde bis zum Bewußtsein ihrer Beacht gereizt hatte; manchmal aucb war überhaupt keine bestimmte Ursache der Störung zu fassen, und die Menge wurde einfach unruhig, weil es ihr zu still war. ^ Alsdann kam ein großes Rasseln und Quietschen in das ganze Uhrwerk, es wurde daran herumgedoktort lind gefeilt, bis die unverständige Mehrzahl der Arbeit müde war und die sehr verständige Minderheit die alten, abgenutzten Näder wieder mit dem sanften Oele ihrer Weisheit, im Notfälle auch mit ein wenig Blut zu einem ordnungsmäßigen Gang gebracht hatte, bei dem sie allerdings nicht ganz eine Stunde in sechzig Minuten liefen und somit hinter der Zeit allmählich zurückblieben." Bei der letzten großen Störung des Uhrwerks, die so bedenkliche Dimensionen annahm, daß einer der beiden Kölner Bürgermeister, Aare von Mechter, von dein rasselnden Räderwerk zermalmt, das heißt, durch einen aus der revolutionierenden Volksmenge auf ihn abgegebenen Schuß getötet wurde, hat sein Amtsgenosse Sebaldus von Halveren ein bedenkliches Mittel angewandt, um die Unzufriedenheit der Menge abzulenken: Er hat unter dem Vorwände, daß Hexenkünste die Kugel auf den Gefallenen gelenkt Hütten, die Hexenprozesse in Köln eingeführt und damit allen unruhigen Gedanken ein Ziel gegeben, das ihm weitab von dem zu liegen schien, womit sich unruhige Köpfe von Zeit zn Zeit immer wieder gern beschäftigten — von der Leitung der