Heft 
(1897) 06
Seite
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Uebcr Land und Weer.

und die GeschichteRemigius' von Asenberg", des Kriegs­mannes, der zum frommen Einsiedler wird, ist in ihrem historischen Kolorit zwar ungewöhnlich fein durchgeführt, aber stofflich doch ohne besonderen Reiz.

Die im gleichen Verlag erschienenenNeuen No­vellen" von Hans Arnold sind nach dem bewährten und selbst in vielfacher Wiederholung nicht versagenden Rezept der Verfasserin gearbeitet, alle kleinen Widerwärtig­keiten und Störungen des Familienlebens bei festlichen Anlässen zusammenzuhäufen und aus dem Kontrast der freudigen Erwartung und der nicht immer freundlichen Wirklichkeit komische Situationen herauszulocken. Um den Kontrast wirksam zu machen, darf es natürlich nicht an Uebertreibung fehlen. Das bewährte Rezept würde viel­leicht doch versagen, wenn der Grundton der Hans Arnold- schen Burleskei: nicht der einer liebenswürdigen Natur wäre, und wenn die Verfasserin ihre Figuren ebenso stark char­gierte wie die Situationen. Auch eine ernste Novelle, Schach der Königin", hat sich in diesen Band verirrt. Verirrt" sage ich nur, weil sie dem Leser innerhalb des Menus so ganz unerwartet kommt; sonst kann sie den Ver­gleich mit dem großen Durchschnitt der Novellen ganz wohl aushalten.

Drei Novellen,Das Leben ist golden",Die Vierte" undReue" von Adalbert Meinhardt, erschienen in einem Bande, der als Gesamttitel den Titel der ersten trägt, im Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin. Auch Adalbert Meinhardt ist Optimistin wie Hermine Villinger; aber mehr Optimistin aus kluger Ueberlegung als aus natürlichem Temperament. Erscheint uns das Leben düsterer, als uns angenehm ist,

Dann hcistt cs sich wehren,

Von Reu' nicht noch Schmerzen Noch einsamem Sehnen Sich schwächlich znm Sklaven Erniedrigen lassen,

Denn Leben ist kämpfen!"

Diese im Vorwort ausgesprochene, sehr beherzigenswerte Lebensweisheit illustrieren die drei Novellen. Wo, wie in der NovelleReue", die eigne Kraft des Heldei: zur Be- thätigung dieser Lebensweisheit nicht ausreichen null, da kommt ihr ein guter Genius in Gestalt einer klugen,

mutigen jungen Frau zu Hilfe, die dein Geliebten mit der

Kraft der Liebe tragen Hilst. Die Novellen sind reich an

seinen psychologischen Zügen, die uns die komplizierten

Charaktere menschlich nahe bringen.

Ernst von Wolzogen nennt einen neuen Band NovellenGeschichten von lieben, süßen Mädeln" (Verlag von F. Fontane L Comp., Berlin). Die Geschichten behandeln alle das, was in Deutschland, wenn es für die höhere Litteratur fähig geinacht werden sollte, bisher idea­listisch behandelt werden mußte, nämlich das, was inan so im allgemeinendas Verhältnis" nennt, das heißt, eine längere oder kürzere Beziehung von einem zum andern, die voi: beiden Teilei: unter der Voraussetzung eingegangen wird, daß sie nicht notwendiger- und auch nicht wahrschein­licherweise zur Ehe führen müsse. Wolzogen behandelt dieses Stoffgebiet sehr leicht, manche werden ihn viel­leicht deshalb leichtsinnig nennen, aber auch immer noch idealistisch genug, trotzdem er in diese leichtgeknüpften Be­ziehungei: nicht ein übergroßes Maß von Empfindung hineinphantasiert. Aber er giebt doch einigen von diesen

lieben, süßen Mädeln", deren Ausgabe er darin sieht, den Männern das Herz warm zu halten, so etwas von kleinen Psycheflügeln mit aus den Weg, wenn sie auch nicht gerade aufwärts damit zu flattern versuchen. Merkwürdig ist es, daß die in der Situation unmöglichste der Novellen,Tonis- Ende", zugleich die poetisch wertvollste ist. Vielleicht weil sie die keckste ist. Und dieses Genre, das in Deutschland so wenig gepflegt wird, erfordert mehr Keckheit, als Wol- zogen zur Verfügung steht.

Mit einem Buche,Das nervöse Weib", von Albert Moll, das in: gleichen Verlag erschien, wein der Leser gar nichts Rechtes anzufangen. Jst's ein Laie oder ein Fachmann, der darin seine Beobachtungen zu­sammenstellt? Im ersten Fall sind sie wenig wert, im andern Fall fragt man sich vergebens, was der Autor mit diesem Buche nützen zu können gemeint hat. Schon die kuriose Idee, das nervöse Weib allein zu schildern, während die Grunderscheinungei: der Nervosität bei Männern und Frauen ganz dieselben sind, läßt auf einen Laien schließen, und zwar ans einen Laien, der mit seinem Buche gar keinen andern Zweck verfolgt hat als den, die Neugierde der Leser zu reizen. Darin bestärken auch die das Buch einleitende!: Charakteristiken nervöser Frauen, die der Ver­fasser alsTypen" aufgefaßt wissen will, und die an Oberflächlichkeit gar nichts zu wünschen übrig lassen. Wer­das Buch lesen soll, weiß ich nicht recht; wer es unbedingt nicht lesen sollte, ist mir ganz klar, nämlich alle ner­vösen Frauen, die sich aus der Lektüre zu ihren ihnen schon bekannten Krankheitserscheinungen noch ein halbes Hundert dazu holen werden.

Paul Heyses Verehrer mögen nach seinem jüngst erschienenen BandeNeue Gedichte und Jugend­lieder" (Berlin, Verlag von Wilhelm Hertz) greifen. Unter den Balladen findet sich die wundervolleMutter des Siegers", die vor ein oder zwei Jahren die Perle des Cottaschen Musen-Almanach bildete, unter den Herbstblättern viel fein Elegisches, sehr schöne Familienstimmungen in klassischer Form in der Hauspoesie, außerdem anmutige Liebeslieder, rein empfundene Naturstimmungen, schöne Widmungen und auch ein paar kleine Disharmonien in Form von Abwehr, die aber ein ganz unberechtigter An­griff ist gegen litterarische Leute, die dem Schönheitsideal Paul Heyses nicht entsprechen. Das Verbitterte steht Heyse vielleicht von allen lebenden deutschen Autoren an: wenigsten zu Gesicht.

Johanna Ambrosius hat ihrer Gedichte (Tho­mas L Oppermann, Königsberg i. Pr.) einen zweiten Teil erscheinen lassen. Kein Mensch kümmert sich darum, und das ist sehr unrecht von allen denen, die die Verfasserin noch vor einen: Jahr als Volksdichterin gefeiert haben. Denn wenn man einen Menschen gestern gefeiert hat, so darf man ihn heute nicht bereits vergessen haben, ob man ihn nun feierte, weil man von seinem Verdienst über­zeugt mar, oder ob man ihn feierte, weil man eine Mode mitmachen mußte. Aber die Mode glaubt sich selbst genug, gethan zu haben, wenn sie sich überlebt hat, und eine Höf­lichkeit des Herzens ist von der Mode niemals gefordert worden. Uebrigens sind die Gedichte des zweiten Teils nicht schlechter als der erste Band, Johanna Ambrosius ist noch ganz aus der Höhe ihres vor einen: Jahr in den Himmel erhobenen Talents.