126
Weber Lan
(Fritz mit dem Leinpferd folgte) auf Cremmen zu. Das war noch eine tüchtige Strecke, gute drei Meilen. Aber trotzdem waren beide Reiter übereingekommen, nichts Zu übereilen und sich's nach Möglichkeit bequem zu machen. „Es ist am Ende gleichgültig, ob wir um acht oder um neun über den Cremmer Damm reiten. Das bißchen Abendrot, das da drüben noch hinter dem Kirchturm steht . . . Fritz, wie heißt er? Welcher Kirchturm ist es?..." — „Das ist der Wulkowsche, Herr Hauptmann!" —„. . . Also, das bißchen Abendrot, das da noch hinter dem Wulkowschen steht, wird ohnehin nicht lange mehr Vorhalten. Dunkel wird's also doch, und von dem Hohenlohedenkmal, das ich mir übrigens gern einmal näher angesehen hätte (man muß so was immer auf dem Hinwege mitnehmen), kommt uns bei Tageslicht nichts mehr vor die Klinge. Das Denkmal liegt etwas ab vom Wege."
„Schade," sagte Rex.
„Ja, man kann es beinah' sagen. Ich für meine Person komme schließlich drüber hin, aber ein Mann wie Sie, Rex, sollte dergleichen mehr wallfahrtartig anffassen."
„Ach Czako, Sie reden wieder tolles Zeug, diesmal mit einem kleinen Abstecher ins Lästerliche. Was soll.Wallfahrt' hier überhaupt? Und dann, was haben Sie gegen Wallfahrten? Und was haben Sie gegen die Hohenlohes?"
„Gott, Rex, wie Sie sich wieder irren. Ich habe nichts gegen die einen, und ich habe nichts gegen die andern. Alles, was ich von Wallfahrten gelesen habe, hat mich immer nur wünschen lassen, mal mit dabei Zn sein. Und aä voeem der Hohenlohes, so kann ich Ihnen nur sagen, für die Hab' ich sogar was übrig in meinem Herzen, viel, viel mehr als für unser eigentliches Landesgewächs. Oder wenn Sie wollen, für unsre Autochthonen."
„Und das meinen Sie ganz ernsthaft?"
„Ganz ernsthaft. Und wir wollen mal fünf Minuten wie vernünftige Leute darüber reden. Wenn ich sage »wir', so meine ich natürlich mich. Denn Sie sprechen immer vernünftig. Vielleicht ein bißchen zu sehr."
Rex lächelte. „Nun gut; ich will's Ihnen glauben."
„Also die Hohenlohes," fuhr Czako fort. „Ja, wie steht es damit? Wie liegt da die Sache? Da kommt hier so Anno Domini ein Burggraf ins Land, und das Land will ihn nicht, und er muß sich alles erst erobern, die Städte beinah' und die Schlösser gewiß. Und die Herzen natürlich erst recht. Und der Kaiser sitzt mal wieder weitab und kann ihm nicht helfen. Und da hat nun dieser Nürnberger Burggraf, wenn's hoch kommt, ein halbes Dutzend Menschen um sich, schwäbische Leute, die mit ihm in diese Mördergrube gekommen sind. Denn ein bißchen so was war es. Und geht auch gleich los, und die Quitzows und die, die's sein wollen, rufen die Pommern ins Land, und hier auf diesem alten Cremmer Damm stoßen sie zusammen, und die paar, die da fallen, das sind eben die Schwaben, die's gewagt hatten und mit in den Kahn gestiegen
d und Meer.
waren. Allen vorauf aber ein Graf, so ein Herr in mittleren Jahren. Der fiel zuerst und versank in den Sumpf, und da liegt er. Das heißt, sie haben ihn 'rausgeholt, und nun liegt er in der Klosterkirche. Und dieser eine, der da voran fiel, der hieß Hohenlohe."
„Ja, Czako, das weiß ich ja alles. Das steht ja schon im Brandenburgischen Kinderfrennd. Sie denken aber immer, Sie haben so was allein gepachtet."
„Immer vorsichtig, Rex; im Kinderfreund steht es. Gewiß. Aber was steht nicht alles — von Kinderfreund gar nicht zu reden — in Bibel und Katechismus, und die Leute wissen es doch nicht. Ich zum Beispiel. Und ob es nun drin steht oder nicht drin steht, ich sage nur: so hat es angefangen, und so läuft der Hase noch. Oder glauben Sie, daß der alte Fürst, der jetzt dran ist, daß der zu seinem Spezialvergnügen in unser sogenanntes Reichskanzlerpalais gezogen ist, drin die Bismarckschen Nachfolger, von dem alten Friedrichsruher gar nicht erst Zu reden, ihre Tage vertrauern? Ein Opfer ist es, nicht mehr und nicht weniger, und ein Opfer bringt auch der alte Fürst, gerade wie der, der damals am Cremmer Damm als erster fiel. Und ich sage Ihnen, Rex, das ist das, was mir imponiert; immer da sein, wenn Not an Mann ist. Die Kleinen von hier, trotz der »Loyalität bis ans die Knochen', die mucken immer bloß auf. aber die wirklich Vornehmen, die gehorchen, nicht einem Machthaber, sondern dem Gefühl ihrer Pflicht."
Rex war einverstanden und wiederholte: „Schade, daß wir so spät an dem Denkmal vorbeikommen."
„Ja, schade," sagte Czako. „Wir müssen es uns aber schenken. Im übrigen, denk' ich, lassen wir in dem, was wir uns noch zu sagen haben, die Hohenlohes überhaupt. Andres liegt uns heute näher. Wie hat Ihnen denn eigentlich die Schmargendorf gefallen?"
„Ich werde mich hüten, Czako, Ihnen darauf zu antworten. Außerdem haben Sie sie durch den Garten geführt, nicht ich, und mir war immer, als ob ich Faust und Gretchen sähe."
Czako lachte. „Natürlich schwebt Ihnen das andre Paar vor, und ich bin nicht böse darüber. Die Rolle, die mir dabei zufällt — der mit der Hahnenfeder ist doch schließlich 'ne ganz andre Nummer als der »Habe-nun-ach-Mann' — diese Mephistorolle gefällt mir besser, und was die Schmargendorf angeht, so kann ich nur sagen: Von meiner Martha lass' ich nicht."
„Czako, Sie münden wieder ins Frivole."
„Gut, gut, Rex, Sie werden unwirsch, und Sie sollen recht haben. Lassen wir also die Schmargendorf. Aber über die Domina ließe sich vielleicht sprechen, und sind wir erst bei der Tante, so sind wir auch bei dem Neffen. Ich fürchte, unser Freund Woldemar befindet sich in diesem Augenblick in einer scharfen Zwickmühle. Die Domina liegt ihm seit Jahr und Tag (er hat mir selber Andeutungen darüber gemacht) mit Heiratsplänen in den Ohren, mutmaßlich weil ihr die Vorstellung einer Stechlinlosen Welt