Heft 
(1897) 07
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Ueber Land und Wccr.

die hoch über diesem Terrassenbau in die blauen Lüfte starren und nach kurzer Wanderung haben wir Serra- vezza erreicht.

Das Städtchen liegt schön am Zusammenfluß der Bergströme Serra und Vezza, von denen der eine ans den Schluchten des Altissimo, der andre von Valdarni herunter­kommt; Marmor liegt an allen Ecken und Enden, die Straßen sind schneeweiß wie in Carrara, und auch das Gepoche und Gehämmer ist dasselbe wie dort.

Auf der Brücke, die neben der ersten Sägemühle über die Vezza führt, eröffnet sich ein Blick in die innere Bergwelt. Das enge Vezzathal erscheint im tiefen Hinter­grund von der Pyramide des Monte Forato abgeschlossen. Unmittelbar davor hebt sich bei klarer Luft das kuppel- förmige Haupt eines ringsum freistehenden, niedrigeren Berges ab, der die Gestalt eines Turmes hat und wie von Menschenhand geschaffen aussieht. Er heißt der Pro- cinto und ist dadurch merkwürdig, daß sich an ihn die

Bis herauf in diese Oede sind uns die Mühlen gefolgt, freilich immer kleiner und primitiver werdend. Nach der letzten, die nur noch eine Ruine ist, empfängt uns die große Bergeinsamkeit, in der man nichts mehr hört als die brausenden Wasser und Vogelgesaug.

Die Schlucht erweitert sich und mündet ans eine mächtige weiße Geröllhalde, zu deren Füßen unter spärlichen: Baum­wuchs und Ginster eine Steinhütte nistet, und ein paar ^ Arbeiter sind dort mit dem Zuhauen von Marmorblöcken ! beschäftigt. Diese Marmorwildnis heißt der Giardino, und ^ der Name wird erst verständlich durch den Kontrast mit ! der nackten, sonnverbrannten Bergwand, die wir zu über- i winden haben, um die tote weiße Marmorregion zu er­reichen, die jenseits des Tunnels liegt.

Wie eine Wendeltreppe zieht sich der schmale Fußweg in endloser Steigung hinauf; die Abgründe, die zu unsrer Rechten immer tiefer hinunterfallen, sind nur selten durch Gebüsch oder blühendes Heidekraut den: Auge auf einen

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Transport von Marinorblöcken.

me verklungene Sage knüpft, es sei Michelangelos Absicht gewesen, einen von den Bergen der Apuauischeu Alpen in eine Kolossalstatue zu verwandeln.

Tie beiden Ufer der Vezza sind von Marmorsügemühlen ! Ungesäumt, die mit den Wassern um die Wette lärmen. ! Auch hier lagert Marmor in Mengen, aber die jung- belaubten Verghänge mit den niederschießenden Bächen, dem blühenden Ginster und den: alten, bräunlichen Grün der Steineichen mildern das grelle Weiß. Eine Geröllhalde senkt sich wie ein Gletscher ins Thal, daneben die Rutsch­bahn, ans der von hoch oben die Blöcke Herabgelasse!: werden. Still und verlassen liegt der monumentale Riesenbau eines ansgegebeneu Eisenwerkes inmitten der geräuschvolle!: Be­triebsamkeit.

Hinter Ruosina verläßt die Straße das Vezza-Ufer und biegt in die rauhe Schluckt des Cansoli ein, der ein wildes Geröll in seinen grünen Fluten wälzt, und dem von allen Felsen herab die Wasser als breite Sturzbäche oder als dünne Fäden znichießen. Von oben blinkt steil und un­zugänglich das weiße Berghaupt herunter, dessen jenseitiger Hang von uns erstiegei! werden soll.

Moment entzogen. Hier wandern früh an: Morgen die Frauei: von Ruosina und Serravezza hinauf, ihren Männern den Mundvorrat in die Brüche tragend: herrliche Gestalten, die mit nackten Füßen, schwere Körbe auf dem Kopf, leicht wie im Flug den steinigen Hang erklimmen. Den Städtern legt er eine nicht verächtliche Leistung auf.

Oben öffnet sich das schwarze Thor des Tunnels, der , in die Marmorbrüche führt. Ein alter Mann, der an: Eingänge haust, sollte die Wanderer mit einer Laterne versehen, aber offenbar ist er mit dem linken Fuß aus dem Bette gestiegen, denn er weigert sich mit Gebrumm. Es wird der Beschluß gefaßt, den Tunnel auch ohne Laterne zu betreten.

Wohl zwanzig Minuten lang geht inan durch Finsternis und unergründliche!: Schmutz. Von der Decke träufelt die Nässe wie eii: Regen herunter. In der Mitte, als schon vom Ansgang her die Tageshelle wie ein fernes Lichtchen hereinschien, erwartete uns ein unbehagliches Abenteuer. Wir vernähme!: plötzlich ein verdächtiges Getöse, das Tages­licht verschwand, das Gewölbe schlitterte, und Qualm er­füllte den Tunnel. Niemand hatte au die Marinstem