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In den Warmorbcrgen.
gedacht, die in diesen Bergen ohne Schienen als ungeheure Dampflokomobile fährt. Das Stampfen und Donnern kommt naher, ein rotes Auge stiert uns durch die Dunkelheit au. Wir wissen weder, wie groß ihr Umfang ist, noch auf welcher Seite des Tunnels sie heranfährt. Rufen wäre bei dem Lärm vergeblich, also drückt die Gesellschaft sich platt an die Wand, die einen das Gesicht, die andern den Rücken der unbekannten Gefahr zuwendend. So vergingen Minuten, der Qualm wurde immer dichter, bis der schwarze Koloß hart in unsrer Nähe hielt. Ein Mann, der mit der Laterne vorauslief, hatte uns entdeckt, wie Fledermäuse an der Wand klebend, und befreite uns aus der peinlichen Lage.
Einmal am Tageslicht, geht es im Lauf bis Marmorbruch Tagliate. Eine Schieneubrücke führt die Schlucht der Turrita Seeea, deren wasserloses sich hier so erweitert, daß es einem schlammigen, trocknenden Bergsee gleicht. Am Eingang des Bruches sind zu beiden Seiten feste Stützpfeiler und lange weiße Mauern aus geschichtetem Marmorgebröckel aufgeführt. Kleine Hütten aus unbehauenem Marmor, gleichfalls ohne Kitt zusammengefügt, stehen da und dort verstreut; ihr Dach bilden glatte Marmorplatten, die durch große Brocken rohen Marmors beschwert sind. Alan kann sie nicht anseheu, ohne an das „zuckerige Häuschen" der Hexe aus dem unvergeßlichen deutschen Märchen Zu denken.
zum
über
Bett
ver-
Tas Betreten des Marmorbruchs ist hier völlig gefahrlos, nur daß der Fuß einige Blühe hat, sich auf dem Marmorgrund, der vom Rollen der Steine glattgeschliffen ist, zu halten. In großen Quadern liegt der abgesprengte Marmor umher; er ist von wertloser Qualität und wird soeben von den Steinmetzen zertrümmert, um in die gähnende Liefe geschüttet zu werden, die sich schon zum großen Teil mit dem Gerolle angefüllt hat. Auf diese Weise entstehen die scheinbaren Gletscher. Lawinen giebt es auch, denn in der Höhe über uns wird der Berg „gefegt", und massenhaftes Gebröckel stürzt polternd herunter. Jeden Augenblick heißt es aufpassen und zur Seite springen. Ganz oben auf dem Grat sind angeseilte Männer beschäftigt, eine Mine anzulegen; von unten gesehen sind sie so winzig, daß ihr Thun sich nicht verfolgen läßt.
Vesser hätte es der Zufall nicht mit uns meinen können; durch den Aufseher, einen wetterharten Alten mit weißhaarigem Charalterkopf, erfahren wir, daß uns noch ein dramatischer Vorgang erwartet. Man beabsichtigt, eine der größten Minen springen zu lassen, die der Berg seit lange erlebt hat. Ein ganzer Felsvorsprung soll entfernt werden, damit das tiefer liegende edlere Gestein frei wird. Doch es soll noch eine starke Weile dauern, und unterdessen haben wir Zeit, uns weiter umzusehen.
Ein weißer, mit Schienen belegter Weg windet sich zwischen Bergwand und Abgrund hin; er führt tief in die Wunder der weißen, starren Marmorwelt hinein. In diesen Klüften schlummert das Kunstwerk der Zukunft! Wenn der Berg » auf einen Augenblick durchsichtig würde!
Sein Schoß ist ganz voll von Monn- N, menten und Statuen; auch die Könige
und Helden, die
Denker
und Künstler der Nachwelt sind hier in Marmor beisammen. Welche erlauchte Gesellschaft! Aber es geht ebenso wie in der Menschenwelt: auf viele Nieten kommt ab und zu ein Treffer. Mancber ist nur hier, weil ihm die urteilslose Menge einmal
Verladung von Marmorblöcken.
veber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 7.
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