"Nützlichkeit und Notwendigkeit der Winterkuren.
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Schon in der Fußpflege wird von den meisten Menschen arg gefehlt. Der jahraus jahrein von früh bis abends in Strümpfen und dicken Lederfntteralen steckende Fuß des Stadtmenschen ist ein so verweichlichtes Ding, daß ungewohnte Kälte und Feuchtigkeit meistens hinreichen, um sofort Schnupfen, Katarrh oder Bronchitis hervorzurufen. Betritt man nun nach stundenlangem ruhigein Sitzen im stark geheizten, mit Teppichen bedeckten Zimmer, wobei die Blntzirkulation in den Extremitäten bedeutend herabgesetzt worden ist, die nasse Straße, so dringt erstlich, da es einen durchaus wasserdichten Lederschnh überhaupt nicht giebt, ein gewisses Maß Feuchtigkeit ein; die durch das Gehen gesteigerte Herzthätigkeit befördert aber die Blntzirkulation, und da das Blut in den Füßen, als in den tiesstgelegenen Teilen des menschlichen Körpers, dem Gesetze der Schwere folgend, die Neigung zum Stocken hat, findet eine mehr oder weniger starke Transpiration statt. Diese hätte nicht viel zu bedeuten, solange man in Bewegung bleibt. Wenn aber dann der Spaziergänger nach Hause znrückkehrt und zu bequem ist, Schuhe und Strümpfe zu wechseln, kommt der Moment der Erkältung. Das von den Strümpfen aufgesogene Wasser verdunstet und entzieht den Füßen so viel Wärme, daß das gefürchtete Uebel ein- tritt. Endlos find die Klagen über kalte Füße und die sich daraus ergebenden Erkältungen. Sie würden aber in ihrer größten Mehrzahl verschwinden, wenn der häufige Wechsel der Fußbekleidung zur Winterszeit zur ständigen Gewohnheit würde. Das Gleiche gilt auch von der übrigen Bekleidung. Die passive Ruhe, der sich die meisten nicht körperlich arbeitenden Menschen hinzugeben pflegen, macht das Herz schwächer schlagen und erhöht das Wärmebedürfnis, dein durch dicke Unterkleider genügt wird. Folgt dann eine reichlichere Bewegung in frischer Luft, so tritt leicht Schweißallsbruch ein, der in der oben beschriebenen Weise zur Erkältung führt.
Was man danach zu thun hat, um der fatalen Neigung zur Erkältung entgegenzuwirken, ist hiermit eigentlich schon gesagt. Außer der richtigen Wahl und dem häufigen Wechsel der Bekleidung und Frottierung der Füße kommt es hauptsächlich auf eine planmäßige Stärkung der Herzkraft an, wie sie durch Zimmergymnastik, Ersteigung mäßiger Anhöhen und so weiter auch für bejahrte Personen erreichbar ist.
Wer sich dergestalt so weit wie möglich gegen Erkältungsgefahr gesichert hat, wird eine Bade- oder Trinkkur, sei es in einem Kurorte, sei es zu Hause, auch im Winter ohne Besorgnis unternehmen können. Speziell die Furcht vor heißen oder Dampfbädern ist — das sei hier zum Tröste unsrer zahllosen Rheumatiker gesagt — unter solchen Umständen eine ganz ungerechtfertigte. Im Gegenteil sind häufig uud mit Vorsicht gebrauchte Dampfbäder durch ihren Wechsel zwischen Wärme und Kälte und in Verbindung mit einer tüchtigen Massage das beste Mittel, den Körper gegen Temperaturunterschiede widerstandsfähig zu machen und den Blutumlauf zu befördern; nur von Herzkranken sind solche Bäder zu meiden.
Der Marienbader oder Karlsbader muß ja nicht unbedingt früh um sechs oder sieben Uhr, wenn es bei uns im Winter noch finster ist, getrunken und unmittelbar darauf eine Promenade im Freien gemacht werden. Zweckmäßiger und bequemer ist freilich die Tageseinteilung in den Bade-Orten; wenn man aber unter Auf- und Abwandeln im gewärmten Zimmer sein bestimmtes Quantum Brunnen getrunken hat und dann zu einer günstigen Tagesstunde den obligaten Spaziergang unternimmt, wird man gute Heilerfolge erzielen können.
Was häusliche Kuren, sei es zur Winter- oder Sommerzeit, so oft mißlingen läßt, ist der Umstand, daß der sie in der häuslichen Umgebung brauchende Patient nicht
Selbstbeherrschung genug hat, auf eine Weile seinen liebgewordenen Gewohnheiten zu entsagen, die mit der betreffenden Kur nun einmal unvereinbar sind. Nicht jeder besitzt die Energie, sich seines Lieblingsgerichtes zu enthalten, das die andern Mitglieder der Familie vor seinen Augen mit Behagen verzehren; nicht jeder bringt es über sich, wenn die Abendstunde naht, auf den gewohnten Wein oder das Bier seines Stammtisches zu verzichten. Das ist aber kein Grund, der gegen häusliche Winterkuren an sich spricht.
Krankheiten treten zu jeder Zeit des Jahres auf und kehren sich nicht daran, ob die Jahreszeit gerade die beste für eine Kur ist. Im Gegenteil lassen sie fast durchweg im Frühjahr und Sommer unter dem Einfluß der günstigen klimatischen Faktoren nach, um im Winter wieder mit größerer Macht aufzutreten. Die weiseste medizinische Regel lautet aber „xrirwixÜL od8kn^, und deshalb muß man Krankheiten, wenn sie im Herbst und Winter anftreten, nicht mit Palliativmitteln bis zur wärmeren Jahreszeit hinziehen, sondern sofort mit dem ganzen, durch tausendfältige Erfahrung erprobten Apparat bekriegen.
Sämtliche Erkrankungen der Unterleibsorgane, soweit sie durch Trinkkuren heilbar sind, sollten auch im Winter in dieser Weise behandelt werden. Das Heer der Rheumatismen, Neuralgien, Gelenkschmerzen aber ist ein dankbares Feld für den Bädergebrauch zu jeder Jahreszeit, um so mehr, als sie leicht zum Chronischwerden inklinieren. Man breche daher einmal gründlich mit dein Vorurteil, derartige Kuren immer auf den Sommer zu verschieben, dann werden sich die Kranken viel Leid ersparen, das sie sonst trotz des übrigens nicht unbedenklichen Gebrauches der modernen narkotischen oder nervenerregenden Mittel oft durch Monate über sich müssen ergehen lassen.
In der Großstadt.
uf einer Insel stand ich wie im Meer,
Rings flutete die Großstadt um mich her.
In tausend Tönen hallte dumpf die Brandung: Gewirr von Stimmen, Rufe, laut und schrill,
Das rollt und dröhnt und pfeift — ich lehne still Am Kandelaber, froh der eignen Landung.
Der weite jAatz, von weißem Licht erhellt, ,
Das aus den großen Bogenlampen fällt,
Dazwischen sxrüht's wie Glanz von tausend Sternen, Im Märchenschimmer strahlen Lädenreihn,
Und blendend schießt vorbei der Helle Schein Der Straßenbahnen und der Radlaternen.
Die Sinne alle trinken sich nicht satt;
Bewegung, Glanz und Lärm der großen Stadt,
Das ist der Gegenwart pulsierend' Leben!
Die Arbeit wogt darin und der Genuß,
Das bleiche Elend birgt's, den Ueberfluß,
Diel Edles, viel Verworfenes daneben.
Und über allem liegt es in der Luft,
Vibrierend leise — Dunst halb und halb Duft — Lin geistig Fluidum von seltner Stärke.
Das stählt die Muskeln, und das hebt die Kraft: Lsier ist die Schmiede, fühlen wir, hier schafft Der Geist der Zeit an seinem Riesenwerke.
Adelheid Liier.