Eine Künstlerfaljrt nach Kalö-Asien.
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stüber geben, der Sie bis in Ihr sächsisches Vaterland schleudert, Sie kleiner Sprühteufel!" rief er ihr nach.
Sie guckte sich noch einmal um und machte ihm — eine ihrer Lieblingsgesten — eine lange Nase.
„Ein allerliebster Fratz!" murmelte er entzückt.
„Aber Mecerino!"
„Was denn?"
„Wie unziemlich!" Ich lachte.
„Ach was, Sie sind 'n Schulmeister. Für mich ist alles ziemlich. Und darum sag' ich's noch einmal . . . Sie ist ein allerliebster Fratz."
Alan mußte sich ans dies Kosewort hin die Spatz nur einmal ansehen. Nichts wie Haut und Knochen, aber Zierlich. Das Hervorragendste an ihr war jedenfalls die Nase. Indessen verdarb die Nase nichts an dem nicht hübschen, aber doch interessanten schmalen Gesichtchen, das zwei lebhafte, lustige Augen beherrschten. Der sächsische Dialekt, den Spätzchen nebst allen Provinzialismen mit vaterländischer Hingebung liebte, paßte zu ihrer beweglichen Erscheinung, zu ihrer Munterkeit und zu ihrer unerschöpflichen Neugierde. Und was nun ihre Finger betras — dürr waren sie wie die Hänschens, ehe die alte Hepe zur Mastkur schritt. Aber wie konnten sie auch über die Tasten rasen, gleiten, springen, sausend pauken. Gut trainiert!
„Kommen Sie in den Musiksaal, Mecerino," sagte ich.
Er wollte und wollte auch wieder nicht. Nein, er saß zu bequem.
„Lassen Sie doch Spätzchen allein dreschen. Immer Geklimper und immer Gegröhle! Ich habe gerade noch genug vom Winter her." — Er zog sein Taschentuch, ein seidenes — eine merkwürdige Zusammenstellung von Not und Grün, — und fuhr sich übers Gesicht. „Himmel, ist das heiß! Na, Gott sei gedankt, sobald das Konzert ansgestanden ist, reise ich nach —" Er murmelte etwas.
„Wohin? — Ich verstand Sie nicht."
„Was weiß ich! Wo Bolle hin will."
Erich Bolle war nämlich sein Intimus. Die Freundschaft stützte sich einerseits auf Volles Geldbeutel, andrerseits aus des Tenoristen gefeierte Persönlichkeit. Bolle, ein sehr vermögender jugendlicher Rentier, der es für unehrenhaft hielt, die ererbten Millionen des Vaters durch eigne Anstrengung zu vermehren, fühlte sich voll zufrieden als Trabant des berühmten Mecerino und sonnte sich in dessen Glorienschein, als wär's sein eigner. Dabei huldigte sein Portemonnaie dem selbstlosen Aufopfe- rnngsprinzip der Grasmücke gegenüber dem Kuckuck. Und so waren sie einander unentbehrlich.
Die ersten Töne eines Chopinschen Notturnos klangen Zu uns herüber.
„Sagen Sie mir nur, Mecerino," fragte ich wieder, „wie, wann und wo wollen Sie bis übermorgen noch proben?"
„Gott, was Sie umständlich sind!"
„Ich muß aber doch proben!" rief ich ungeduldig.
„Mit der Spatz können Sie ungeprobt singen,
die macht alles gut. Aber allerdings," — er wurde nachdenklich, — „das Duett mit mir — die Programme sind schon fertig, — Abweichungen sehr- unbeliebt — Schockschwerenot" — (so sagte Bolle immer), „Sie werden doch nicht etwa entgleisen?"
„Es kommt daraus an."
„Tristan! Zu dumm! Mit der Cortagli sing' ich's im Schlaf. Sie kennen's doch hoffentlich? Oder ist Ihnen Tristan etwa noch ein verschlossenes Buch? "
„Ich singe die Isolde auswendig," sagte ich triumphierend.
„Na, also! Was weiter? Wie Sie singen, ist ziemlich egal."
„Weil Sie die Hauptsache sind, natürlich. Danke bestens."
Er raffte sich zusammen und warf sich kopfschüttelnd in den Sessel zurück.
„Herr Jemine! Wieder empfindlich! Ich will Ihnen doch nur Mut machen! Wenn ich sage, w i e Sie singen, ist ziemlich egal, so heißt das doch nur, daß es nichts schadet, wenn Sie mal ,pleite' machen."
Ich versuchte ein Lächeln.
„Sie waren heut morgen wohl auf der Börse? In der Künstlersprache sagt man doch Fiasko machen."
„Ach, lassen Sie die Witze. Mir liegt das Konzert wegen der Absage im Magen. Uebermorgen werden Sie noch mehr Hebräisch hören. Zu dumm
— die Cortagli meine ich. Jetzt ist sie das Juckpulver schon los. Hoffentlich kann sie vor Aerger nicht schlafen." Er wollte aufstehen.
„Wo proben wir also?" fragte ich rasch.
„Bei Ihnen," sagte er ohne Besinnen; „also um zwölf Uhr morgen."
„Und in welchem Saale wird eigentlich das Konzert sein?"
Er wurde rot. Wahrhaftig, er wurde rot.
„Im Saale zu Rempen," entfuhr es ihm rasch und unsicher.
„Zu Rempen!!" Meine Zunge lallte es nur. Alle Illusionen erloschen mit einem Male. Rempen ist ein kleines Nest an der polnischen Grenze, in dem zwei Nationalitäten unter deutschem Gesetzes- schutz sich berührten: die polnische und die hebräische; Rempen ist eine der unbedeutendsten Grenzstationen an der Bahn nach Warschau, Zwei Stunden Eisenbahn von Breslau entfernt.
Jetzt begriff ich die Cortagli.
Aber Mecerino begriff ich nicht. Er, der Volles Portemonnaie in der Tasche hatte, den also die Not nicht in die abgelegensten Provinzialstädte trieb, er, der im Herbst Gastreisen nach Köln, Amsterdam und Hamburg beabsichtigte, — er gab in Rempen ein Konzert!
Er schielte nach mir hin.
„Geniert Sie das?" schüttelte er aus dem Schnurrbart, als läse er meine Gedanken.
„Durchaus nicht," Heuchelteich. Dabei aber war mein Gesicht ellenlang; ich sah's im Spiegel. Mühsam versuchte ich zu lächeln. Breslau und Rempen,
— welch ein Unterschied!
„Wenn Sie übermorgen die Mundwinkel so