Wenn man geahnt hätte, daß ich diese Antwort und die Art, wie er sie gab, recht unartig fand, so würde man mich zerfleischt haben. Bei Mecerino war das originell, interessant. — Natürlich! Und ich mußte mit dem Strome schwimmen.

„O, ich bin glücklich über die Ehre. Aber was verschafft mir denn die hohe Auszeichnung?" Er sang nämlich sonst immer mit der Cortagli.

„Das haben Sie der Cortagli zu danken," warf er mir nachlässig hin und starrte mit seinen schönen blauen Augen, die, trügerisch genug, eine Welt großer Gefühle verhießen, in den flimmernden Kerzen­kranz des Gaskronleuchters. Er wußte, daß er sich in diesem Augenblicke sehr „interessant" machte, und daß eine Menge junger Musenfreundinnen die Köpfe Zusammensteckte und ihn flüsternd bewunderte, die Spatz mitten unter ihnen.

„Hat die Cortagli mich Ihnen empfohlen?" fragte ich ungläubig.

„Na ja, wie sich das so macht. Zuerst hatte sie mir ihre Mitwirkung versprochen. Aber ich dacht's nur gleich — sie hat ihre Launen. Heute früh schrieb sie ab. Als ich ihr aus die Bude rückte, saß sie da in ihrem roten Atlasschlafrock, mit Kali chloricum, Grützumschlägen und dem Juhalatious- apparat und stöhnte, sie sei hoffnungslos heiser."

„O! -"

Er trommelte mit den vier Fingern aus den Hüsten und sah gen Himmel.

„Hoffnungslos heiser! haha! Das soll sie mir nur nicht weismachen. Jnhalationsapparat, Grütz- umschläge, alles nur Mache. Sie konnte sich's na­türlich an den fünf Fingern abzählen, daß ich sofort händeringend angestürzt kommen würde. Eine Boa hatte sie bei der Hitze um — fast so dick wie 'n lebendiger Köter. Alles den geheuchelten Atem­beschwerden zuliebe. Um mich rasch los zu werden, bot sie mir warme Limonade an... . Limonade! Mir wurde ganz wabbelig; ich ergriff sofort die Flucht. In der Thür schreit sie mir mit der klarsten Stimme nach: ,Nehmen Sie doch die Hage­mann. Die singt gut genug für —

Es schien ihm plötzlich etwas in die Kehle zu kommen, und er mußte sich heftig räuspern.

„Ich begreife die Cortagli nicht!"

„Nucken hat sie, Nucken. Mich so zu leimeu! Aber ich Hab' mich schon revanchiert." Er legte plötzlich seinen Zweiten Menschen ab und brach in ein schallendes Gelächter aus, so daß alle Damen entzückt über diesen Frohsinn mit einfielen. „Einen Brief Hab' ich ihr geschickt, einen Brief mit Juck­pulver gefüllt. Und weiter nichts geschrieben als: Bei Heiserkeit ist die Friktion der Haut sehr Zu empfehlen." Er konnte vor Lachen kaum sprechen.

Das war der echte Mecerino. Ich hatte schon ähnliche „geistreiche" Scherze von ihm gehört und wunderte mich nicht mehr darüber. Seine Herkunft mußte vieles an ihm entschuldigen. Seine Wiege hatte neben der Hobelbank seines Vaters gestanden; und wenn aus solch einer Kinderstube auch ehren­hafte und nützliche Weltbürger hervorgehen, so wurzelt doch der seine Ton der besseren Gesellschaft nicht

gerade in den Hobelspänen einer kleinen Werkstatt. Und die geschickteste Nachahmung von Reservelieu­tenantsmanieren deckt nicht den Mangel innerer Bildung Zu.

„Nein, — wenn ich mir ausmale, wie die Cor­tagli sich kratzt, sich ärgert, aus der Haut fährt und schließlich in Wut und Verzweiflung ein Bad nimmt —

„Mecerino, wie ungehörig!" entsnhr's mir.

„Bei mir ist alles gehörig," lachte er. „Wenn sie's mir übelnimmt, bring' ich sie am Sonnabend im ,Troubadour" aus der Contenance, das weiß sie."

„Sie setzen ja hohes Vertrauen in mich. Ich die Cortagli vertreten?!"

Er fuhr sogleich wieder in seinen zweiten Menschen. „Sie läßt sich eben nicht gerne ansstechen," versetzte er nonchalant und zuckte die Achseln.

„Aeußerst verbindlich. Danke sehr! Da ist's Ihnen also wohl gar nicht recht, wenn ich Zusage?"

„Ach was, Fräulein. Nur nicht gleich empfind­lich. Als Größe fallt keiner vom Himmel. Wahr­heit muß jeder Anfänger vertragen. Wer was werden will, der muß vor die Lampen. Gute Ge- saugstuuden allein machen Sie nicht berühmt. Und da ist das jetzt eine sehr gute Gelegenheit."

„Wann soll das Konzert stattfinden?"

Die Frage schien ihn peinlich Zu berühren; er sah sich plötzlich wie suchend um.

„Ist Bolle noch nicht hier? — Nein? — Ach, das Konzert. . . Das Konzert, — übermorgen."

Uebermorgen! — Ich fungierte als letzter Not­anker. Darum auch sein schlechtes Gewissen. Er wußte, daß es für eine beginnende Konzertsäugerin nicht wohlthuend ist, sich gewissermaßen mit einem Kopfsprung ins erste Debüt zu stürzen.

„Mein Gott!" rief ich entsetzt, „da ist ja gar keine Zeit mehr zum Proben!"

„Ach was, Proben! — Sie machen Umstände — Wollen Sie nicht?"

Er warf einen nicht mißzuverstehenden Blick nach jener Ecke, in der ungefähr sechs jüngere Sängerinnen standen, sämtlich den Kinderschuhen des Gesanges kaum entwachsen, die alle bereit gewesen wären, auf das geringste Zeichen von ihm über meinen lebendigen Leichnam weg nach dem ersten Lorbeer der An­erkennung zu stürzen. Mit dem Instinkt der Selbst­erhaltung ries ich feurig:

„Um jeden Preis!"

Er lächelte. Erleichtert durch meine Zusage ließ er sich in einen Sessel sinken und streckte beide Beine von sich, so daß die Spitzen seiner Lackschuhe kerzengerade kronleuchterwärts starrten und der rot- geringelie seine Strumpf eine Spanne lang sichtbar wurde. Mit rücklings über die Lehne gelegtem Kopf und halb geschlossenen Augen zwirnte er lässig den Schnurrbart. Diplomatenpose — frei nach Schlittgen.

In diesem Augenblick glitt die Spatz herbei.

„Ei gar, Sie wollen wohl schlafen?" fragte sie im Vorübergehen. „Da werd' ich Ihnen eine Dor- meuse spielen."

„Ich wünschte, ich könnt' Ihnen einen Nasen-