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Ueöer Land und Meer.
kommen zu ihm und nicht mehr zu mir . . . heißt mich ruinieren." — Er pustete erregt vor sich hin. „Aber: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wenn ihm 's Auge aufgehen wird, wird er meiner gedenken! Heute — was glauben Sie wohl — heute vermietet er Fensterplätze für dreißig Pfennig den Stuhl."
„Ei gar!" ries die Spatz mit großen Augen. „Und worüber sollen ihm denn die Augen aufgehen, Herr Cohn?"
„Nu, — das ist meine Sache. Sie werden ihm schon ausgehen; auf meine Ehre, sie werden ihm ausgehen! — Und 's Hotel mit 'm Berliner Komfort wird ihm vor der Nase tanzen wie 'ne Fliege über 'm Abgrund."
Endlich fand ich Gelegenheit zu einer Frage.
„Sagten Sie nicht bei unsrer Ankunft, daß Sie alle Plätze vermietet hätten, Herr Cohn? Wie kommt Herr Levison zu . .."
„Hat er doch das Haus gegenüber der Konzerthalle!" schrie er mir mit einer Indignation ins Gesicht, als ob ich jenen zu der Schandthat des Hausbesitzes angestiftet hätte. „Er vermietet die
Fensterplätze von seinem leeren Hause —"
„Das leere Haus wird immer interessanter," fiel die Spatz ein.
„Was hat er für ein Recht dazu? Hat er bezahlt für die Musik über die Straße? Nichts bezahlt hat er. Dabei entriert er noch 'n Geschäft mit Butterbroten, die er verkauft an seine Zuhörer. Aber ich will ihm 's Geschäft versalzen!"
„Renommieren Sie doch nicht so!" suchte Mecerino den Erregten zu besänftigen.
„So wahr ich heiße Isidor Cohn," — er legte die gespreizten fünf Finger seiner Rechten auf die Brust — „ich will's ihm versalzen!"
Mecerino lächelte blasiert; jener bemerkte es.
„Siewollen's nicht glauben? — Sie sollen'ssehen!"
„Wie denn?" fragte die Spatz.
„Soll ich die Karten aus der Hand geben?" fragte er zurück. Dann griff er Zur Weinflasche. „Bitte, meine Damen, trinken Sie aus! Willibald, Ihr Glas! Ich Hab' 'n selber abgezogen."
„Dann ist er sicherlich gemanscht," versetzte Mecerino.
„Gemanscht, gemanscht? Was werd' ich 'nem berühmten Sänger vorsetzen gemanschten Ungar!"
Er wurde durch Jeremias unterbrochen, der mit fliegender Serviette ins Zimmer fuhr und schrie:
„Die Glasphyra ist draußen!"
Cohn schnellte empor und wollte aus dem Zimmer stürzen, besann sich aber eines Bessern und setzte sich wieder.
Mecerino, der eben sein Weinglas an die Lippen hob, stellte es energisch aus den Tisch zurück.
„Donner und Doria! Die muß 'reinkommen!"
„Sie will Sie sprechen," winkte der Halberwachsene.
„Mich?" Mecerino setzte erstaunt den Finger auf die Piqueweste.
„Sie will Sie allein sprechen," fügte Jeremias mit einem Seitenblick auf uns hinzu. „Sie sagt, sie geniert sich vor so vielen Leuten."
„Ja, sie ist ein bißchen schüchtern," bestätigte Isidor rasch.
Mecerino war emporgesahren. Er sprang zum Spiegel, zog an der Krawatte, drehte den Schnurrbart und wollte hinauseilen.
Aber er hatte die Rechnung ohne das Spätzlen: gemacht. Als er die Thür erreichte, stand sie schon wie der flammende Engel des Paradieses davor und deckte die Klinke mit dem Rücken.
„Hier geblieben!"
„Was soll denn das, Spätzchen!" Er wollte sie zur Seite schieben. Aber als er sie berührte, zuckte sie auf wie eine Pantherkatze. Ihre Augen sprühten Funken der Eifersucht.
„Keinen Schritt weiter!"
„Na, na! Wenn mich einer sprechen will!"
„Eine—e—e—e ist aber nicht einer—r—r—r, daß Sie's nur wissen!"
„So gehen Sie doch weg!" Er wurde ungeduldig.
„Meinen Kopf draus, Mecerino, ich lasse Sie heut abend mit dem Accompagnement sitzen, wenn Sie hier Liebesaffairen anzetteln oder aussechten."
„Nun wird's Tag!"
„So etwas schickt sich nicht für Sie!"
Ueber sein Gesicht zuckte der Mutwille, sich mit ihr zu necken.
„Ach was! Für mich schickt sich alles."
„Gut. —" Sie ließ die Klinke fahren. „So gehen Sie! — Gehen Sie nur! — Was gehen Sie nicht? — Herr Cohn, einen Wagen für mich! Ich will mit dem nächsten Zuge nach Breslau zurück!"
„Gott du Gerechter!" entfuhr es Cohn. „Der Zug geht erst in zwei Stunden . .. Aber Sie wollen doch nicht fahren vor dem Konzert?"
Mecerinos Hand war von der Klinke gesunken. Er stand total verblüfft. Bisher hatte er die kleine Spatz nur als ein harmloses Vögelchen gekannt, und jetzt zeigte sie aus einmal Geierkrallen! Da hieß es, sich in acht nehmen! Draußen die rosen- spendende Schönheit war ja recht verlockend. Aber mit seinem erprobten, netten, kleinen Accompagnenr konnte er's unmöglich verderben. Er war so eingesungen mit ihr, er brauchte nie etwas zu proben, sie gehorchte ihm und seiner Stimme, wie ein gutes Schulpferd seinem Reiter. Und sie war jetzt wirklich im stände und reiste ab! Man sah's ihr an — sie war zu allem entschlossen, zur Fahnenflüchtigkeit in jeder Gestalt.
„Gehen Sie nur, gehen Sie nur!" rief sie abermals spitz und heftig. „Herr Cohn, einen Wagen will ich!"
„Gott der Gerechte, es ist ja noch Zeit!" — Er glitt dicht an Mecerino heran und flüsterte vorsichtig: „Herr Mecerino, soll ich nicht lieber die Glasphyra fortschicken?"
Es giebt Biedermänner, welche in Momenten wie dieser ein gedämpftes Verhandeln durchaus verschmähen. Hierzu gehörte Mecerino. Was hatte der Cohn wie auf der Bühne ,beiseit° zu sprechen? Er selber brauchte das nicht, wenn er nicht wollte. Mochte doch Spätzchen hören, was er sagte. Mit voll erhobener Stimme schrie er demgemäß Cohn ins Gesicht: