Karl von Kolter.
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Menschenkinds hätten zu Hilfe kommen können, lieber das Geschick des jungen Mannes wurde mit einer wahren Ziel- nnd Planlosigkeit entschieden: man nahm ihn von der Schule und ließ ihn auf einen: Landguts in der Nähe Breslaus die praktische Landwirtschaft erlernen; beim Wiederausbruch der Feindseligkeiten mit Frankreich im Jahre 1815 gestattete man ihm den Eintritt in ein freiwilliges Jägerbataillon, nach dessen alsbaldiger Wiederauflösung ließ man ihn das versäumte Abiturientenexamen nachholen und ihn zum Studium der Rechte und der Philosophie die Hochschule seiner Vaterstadt beziehen. Allein der angehende akademische Bürger war ebensosehr vom Theaterteufel besessen wie der Schüler es gewesen. Zu Holteis Gymnasiastenzeit hatte der geniale Ludwig Devrient an der Breslauer Bühne gewirkt; nunmehr entwickelte sich an derselben das Talent des begabten Karl Seydelmaun.
An letzteren schloß Holtet sich eng an, und Seydel- mann war denn auch derjenige, der dem Freunde den Uebertritt zu den welt- bedeutenden Brettern vermittelte. Er empfahl ihn im Jahre 1816 als seinen Stellvertreter dem Reichs- grasen von Herbertsteiu für dessen Privattheater in Grafeuort. Der Aufenthalt auf dem Besitztum des schlesischen Magnaten wurde für Holtei in doppelter Weise bedeutungsvoll; er knüpfte Beziehungen zwischen ihn: und den: Schloßherrn an, die nachhaltig und von langer Dauer sein sollten, und er ließ ihn die reizende Berliner Schauspielerin Luise Rogee kennen lernen, die er fünf Jahre später als Gattin heimführte. Die Lorbeeren, die er als Schauspieler erntete, scheinen nicht von sonderlicher Bedeutung gewesen zu fein. Auf der Bühne hat es dem Dichter überhaupt nie recht glücken wollen; an dem Theater seiner Vaterstadt, das er im Jahre 1819 zum ersten Male als Mortimer in Schillers „Maria Stuart" betrat, erlebte er ein nur leicht verschleiertes Fiasko, und noch ungünstiger fiel ein einige Zeit nachher in Dresden unternommener Versuch aus; auch später hat Holtet noch verschiedene Male, bald auf kürzere, bald auf längere Zeit, dis Bühne betreten, ohne daß es ihm gelungen wäre, festen Fuß auf ihr zu fassen.
Das ist eigentümlich, denn Beruf zum Menschendarsteller besaß Holtei unfraglich; er war sogar ein vorzüglicher Meister des bühnengerechten Vortrags und hat in seinen dramatischen Vorlesungen bewiesen, daß ihm auch die Gabe der eigentlich mimischen Wirkung nicht versagt war. Was ihn: fehlte, war das flüssige Element der Darstellungskunst; er vermochte auf der Bühne die eigne Absicht nicht zu verwirkliche!: oder wenigstens nicht so rasch und unmittelbar ii: die schauspielerische Aktion umzusetzen,
wie es für die Wirksamkeit der Bühnendarstellung erforderlich ist. Ob es ihm möglich geworden sein würde, durch Fleiß und angestrengtes Arbeiten dieses natürliche Hindernis zu überwinden, läßt sich jetzt nicht mehr entscheiden. Jedenfalls wäre dazu ein ruhigeres Dasein erforderlich gewesen, als es ihm bei dem ihm eigentümlichen Wandertriebe be- schieden war.
Nach seiner Verheiratung siedelte Holtei nach Berlin über, wo er neben seiner Frau Anstellung an: Hoftheater zu erhalten hoffte. Doch zerschlugen sich die Unterhandlungen. Vielei: Anklang fanden die dramatischen Vorlesungei:, die er um diese Zeit veranstaltete. Leider wurde ihm der Erfolg durch den Tod seiner Gattin getrübt. Er trat nunmehr zu dem neu begründeten Königstädter Theater über,
an den: er eine Reihe von Jahren als Sekretär und Dramaturg thätig war, und für das er eine Anzahl äußerst beifällig aufgenommener Stücke schrieb, darunter besonders erwähnenswert das Liederspiel „Der alte Feldherr" und das Volksschauspiel „Leonore". Eine zweite Ehe ging er mit der viel gefeierten, an der Königstädtischen Bühne wirkenden Schauspielerin Julie Holzbecher ein, mit derer 1829 ein Engagement am Hoftheater zu Darm- stadt annahm, indes nur für kurze Zeit. Schon nach Jahresfrist kehrte er nach Berlin zurück und trat daun mit seiner Frau eine Kunstreise an, für die er unter andern: die Dramen „Lorbeerbaum und Bettelstab" und „Shakespeare in der Heimat" schrieb. In: Jahre 1837 übernahm er die Leitung des Rigaer Theaters, legte sie jedoch nach den: Tode seiner zweiten Frau nieder und begann nun von neuen: ein unstetes Wanderleben. Als Theaterleiter versuchte er sich vorübergehend nochmals in seiner Vaterstadt, gab dam: aber jede feste Thätigkeit auf und lebte als Schriftsteller in verschiedenen deutschen Städten, namentlich in Graz. Den Abend seines Lebens verbrachte er in Breslau, wo er sich bei den Barmherzigen Brüdern in die Pflege gegeben hatte. Er starb daselbst am 12. Februar 1880 in seinem zweiundachtzigsten Lebensjahre.
Holtei verleugnet in keinem seiner Werke den geistvollen und gewandten Schriftsteller, aber er vermochte sich doch nicht zu der Höhe zu erheben, die für ein Dichtwerk erforderlich ist, das sich als ein bleibendes erhalten soll. Er geht nicht über die Richtungspunkte der Tagesströmung hinaus und wird darum von dieser davongetragen. Sein dichterisches Lebenselement ist die Rührseligkeit der dreißiger und vierziger Jahre, gegen die die litterarische Richtung des jungen Deutschlands sich auflehute, und für die wir jetzt vollends kein Verständnis mehr haben. Von seinen Bühnenwerken erscheint heutzutage wohl nur