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Weber Lanv und Meer.
noch die „Leonore" hie und da auf einer kleineren norddeutschen Bühne. Sie ist unstreitig die beste von Holteis dramatischen Arbeiten, weil sie, allerdings auch von der rührseligen Zeitstimmung angekränkelt, den Weg zu einem gesunden und natürlichen Volksstück anzubahnen sucht. Was sich sonst aus der Bühne von Holteis Stücken erhalten hat, erhielt seine Lebensfähigkeit lediglich durch das Talent einiger großer Schauspieler, wie der Schwank „Die Wiener in Paris", der durch den genialen Dawison, und das Rührstück „Lorbeerbaun: und Bettelstab", das durch die Kunstreisen Friedrich Haases lange Zeit gehalten wurde. Verdankt die deutsche Bühne dem Dichter auch keine lebensfähigen Werke, so ist sie ihm doch für ein lebensfähiges Genre verbunden, das Liederspiel, das er in durchaus geschickter Weise nach dem französischen Vaudeville gemodelt hat. An: nachhaltigsten hat Holtei unstreitig als dramatischer Vorleser gewirkt; als solcher war er, hierin der Schüler Tiecks, von wirklicher Bedeutung, zumal er den: deutschen Publikum durch das lebendige Wort die Kenntnis einer ganzen Reihe Shakespearescher Dramen vermittelte, denen die deutsche Bühne noch verschlossen war. Von der großen Zahl von Romanen, die Holtei geschrieben, erscheinen dem heutigen Leser wohl nur noch die „Vagabunden" genießbar. Ein Werk von großem und bleibendem Werte ist dagegen die unter dem Titel „Vierzig Jahre" in acht Bänden (1843—1850) erschienene Selbstbiographie, wenigstens in ihren ersten sechs Bänden. Der Dichter entwirft in ihr ein treffendes Kulturbild jener Tage, die wir jetzt in Deutschland die „vormärzliche Zeit" zu nennen pflegen, und zwar mit rückhaltloser Offenheit gegen andre und sich selbst. Als Lyriker nimmt er nur eine bescheidene Stelle ein; seine Dichtungen erheben sich, abgesehen von den in schlesischer Mundart gehaltenen, nur in seltenen Fällen über den Standpunkt des Gelegenheitsgedichtes. Der Dichter hat das übrigens selbst stets freimütig zugestanden, wie in den bescheiden-liebenswürdigen Versen, mit denen wir am besten den Rückblick auf seinen Lebenslauf schließen:
Für etwas Höheres hielt ich mich nie.
Als für den Dichter der Gelegenheit.
.Wohl ein Segen ist's.
Ein Segen, den ich oft empfunden habe:
Den Augenblick erfassend, frisch und froh.
Sich der Gelegenheit rasch zu bemächtigen.
Den Ton zu treffen, edle, große Kreise Durch Wort und Klang gesellig anzuregen
Im Ernst wie Scherz —.
Ein Segen ist's — solang es dauert.
L. H.
Die WstlW der Immlie KodMlli.
Von
Iriedrich Aürst Wrede.
Marchesa Agathe Rodanelli hatte die Tafel aufgehoben und war uns voran in den an den Speisesaal stoßenden Salon geschritten, wo auf einem niederen runden Tischchen bereits die silberne Kaffeekanne und die kryftallene Liqueurflasche unsrer harrten. Der Salon war ein Helles, lichtdurchflutetes Gemach, das trotz seiner großen, räumlichen Dimensionen durch die abgetönte gelbe Damastbekleidung der Wände und den zahlreichen weißen Hausrat einen traulichen und anheimelnden Eindruck hervorrief.
Ein üppiger Blumenflor trug nicht wenig dazu bei, die Wohnlichkeit des Zimmers zu erhöhen und die kalten, unfreundlichen Geister, die sonst so gern
in historischen Bauten nisten, zu bannen. Duftende Blüten füllten nicht nur die formenreichen Vasen und geschliffenen Gläser, sondern auch die gähnende Oeffnung des monumentalen Kamins, dessen Feuerplatz mit hochstämmigen Azalien und bunten Chrysanthemen bestellt war.
Man wähnte sich weit eher im Gartensaale einer jener koketten, das blaue Gestade der sonnigen Riviera oder die grünen Ufer der grauen Themse einfäumenden Villen, als in einem der düstersten und ehrwürdigsten Paläste der toskanischen Hauptstadt.
Die Frau, die es verstanden hatte, in einem so- mächtigen Nahmen, ohne barbarisch gegen die Schönheit zu sündigen, ein trautes Heim zu schaffen, mußte in sich zwei seltene Eigenschaften vereinen: guten Geschmack und thatkräftigen Willen. Kain Sinoda — ein mir befreundeter Schriftsteller — hatte wahrhaftig nicht übertrieben, als er, mich bei der Marchesa Rodanelli einführend, versprochen, ich würde eine gar seltsame und wunderliche Dame kennen lernen.
Seltsam und wunderlich — ja, das war die kleine schmächtige Frau vom Wirbel bis zur Zehe. Eine erschreckende Magerkeit ließ das feine, ausdrucksvolle Gefichtchen über Gebühr gealtert und welk erscheinen. Man glaubte fast einem hageren, bartlosen Knaben, der einen Weiberrock angelegt und eine große, graue Haartracht aufgesteckt, gegenüberzustehen, ein Eindruck, der durch das ungezwungene, freie Benehmen der Marchesa wesentlich gefördert wurde.
Nicht daß sie sich in jenem burschikosen, unweiblichen Ton, den emanzipierte Damen oft anschlagen, gefallen hätte! Jedes Wort, jede Bewegung unsrer Wirtin war schlicht und natürlich, ihre Kleidung gewählt und einfach. Aber man merkte es ihr leicht an, wie unendlich gleichgültig es ihr war, welchen Eindruck sie hervorrief. Es mangelte ihr völlig das weibliche Bestreben, zu gefallen, und das war das große Geheimnis ihrer natürlichen Anmut, durch die sie bezauberte.
Die wohlthuende, selbstlose Liebenswürdigkeit eines Kameraden strahlte von ihr aus. Am liebsten hätte man ihr gleich in der ersten halben Stunde alle seine Leiden anvertraut. Mir wenigstens erging es so.
Da sie am vorhergehenden Tage unfern Besuch verfehlt, hatte sie Kain Sinoda und mich heute zu Tisch geladen. Und ich fühlte mich bei ihr gleich wie zu Hause, obgleich es das erste Mal war, daß ich sie sah.
Nein — um streng bei der Wahrheit zu bleiben — das erste Mal war es eigentlich nicht. Schon einige Wochen früher — gleich am Tage meiner Ankunft in Florenz — war ich ihr begegnet. Allerdings standen wir uns damals auf sehr neutralem und gleichgültigem Boden gegenüber, auf dem man sich gewöhnlich keine sonderliche Beachtung zu schenken Pflegt.
Es war in der Loescherischen Buchhandlung in der Via Tornabuoni. Zufällig kamen wir nebeneinander am Ladentische zu stehen, und ich hörte.