Heft 
(1897) 07
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Die Equipage der Familie Aodanelli.

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wie sie ein Werk von Gregorovius verlangte. Das erregte meine Aufmerksamkeit.

Während der Angestellte das Buch aus dem Magazin herbeiholte, griff die Fremde ans das Geratewohl in einen Stoß der Engelhornschen Bibliothek, der vor ihr ausgestapelt lag. Gleich­gültig, Zerstreut las sie die Aufschrift des roten Umschlages, und rasch, als habe sie eine Enttäuschung erlebt, legte sie den Band auf seinen Platz zurück. Ich glaubte Zu bemerken, wie sich jene, den Flo­rentinern eigne Falte um die Mundwinkel, die so beredt Geringschätzung ausdrückt, in ihrem Gesichte eingrub.

Inzwischen kehrte der Verkäufer mit dem ge­wünschten gelehrten Werke zurück. Die Dame bezahlte den geforderten Preis und verließ den Laden. Ich aber griff nun neugierig nach dem roten Bändchen, das sie so wegwerfend behandelt hatte. Es war eine neuere Arbeit von Richard Voß:Die Villa Falconieri", ein Roman, den der DichterDie Geschichte einer Leidenschaft" benennt.

Diese Aufschrift schien das Mißfallen der Fremden erregt zu haben. Aber war es nicht seltsam, daß gerade eine Frau, Zu deren Ehren die deutschen Poeten ja unermüdlich Liebesgeschichten ersinnen, den neuen Gesang auf der alten Melodie nicht hören wollte? Allerdings sie las Gregorovius. Aus­nahmen bestätigen ja schließlich die Regel.

Während ich mich noch mit dergleichen Betrach­tungen trug, wurde die Thür des Ladens geöffnet und dieAusnahme" ihres Geschlechtes erschien wieder auf der Schwelle. Ohne zu zögern wie ein Mensch, der eine wohlüberlegte Handlung aus­führt trat sie an den Verkausstisch, ergriff das vorhin verachtete Bändchen, überzeugte sich durch einen flüchtigen Blick, daß es das richtige, und hielt es dem Buchhändler mit der Frage nach dem Preis hin. Sie mußte sich die Sache auf der Straße überdacht haben. Das alte Zauberwort auf dem Umschläge hatte feine magnetische Kraft bewährt.

Obgleich mich die kleine Scene damals sehr er­götzt, hatte ich sie doch in der Fülle der Eindrücke der letzten Tage gänzlich vergessen. Erst als ich der Marchesa Nodanelli bei Tische gegenüber saß und grübelte, wo ich denn ihr schmales, kluges Ge- sichtcheu schon gesehen, fiel mir der Vorfall wieder ein.

Die Mahlzeit war in der heitersten Stimmung und durch gute Gespräche gewürzt verlaufen. Unsre Gastgeberin hatte sich als eine ebenso belesene wie feinsinnige Kennerin der italienischen Geschichte ent­puppt. In den verwickeltsten Epochen derselben war sie so gründlich bewandert, als hätte sie all diese Ereignisse selbst miterlebt. Dabei glich ihr Wissen nicht der toten, aus Ziffern und Zahlen zu­sammengesetzten Schulweisheit, sondern war von einen: dichten Gewebe intimer Details und kleiner Anekdoten umrankt und belebt. Sie war in den Geist der einzelnen Decennien eingedrungen eine mühevolle Arbeit, die umfassende Kenntnisse auf dem Gebiete der Volkswirtschaft, der Kunst, der Politik und hauptsächlich der Memoirenlitteratur vorausfetzt.

Dazu besaß sie in hohem Grade das Talent, anregend zu plaudern. Es war eine Freude, ihr zuzuhören. Leider hatte unser Gespräch beim Nach­tisch in seichtere Bahnen eiugelenkt, ja, während wir im Salon den Kaffee schlürften, war es auf das Niveau des banalen Touristenklatsches herab­gesunken. Wir besprachen die Eigentümlichkeiten der italienischen Gesellschaft, und die Freude der Süd­länder an prunkenden Equipagen und endlosen Korsofahrten lieferte mir Stoff zu billigem Spotte.

Nur Sie, Marchesa," schloß ich meine Phi­lippika,scheinen diese Vorliebe Ihrer Landsleute nicht zu teilen. Ich habe Sie wenigstens nie in den Kafsinen oder auf dem Lungarno daherrollen gesehen."

Nein," entgegnete sie,ich besitze keine Equi­page." Die Worte sielen so herb und bitter von ihren Lippen, daß ich erstaunt aufblickte.

Aber die Sprecherin hatte den Kopf vorgeneigt und machte sich angelegentlich an einer Dose, die sich scheinbar durchaus nicht öffnen wollte, zu schaffen, so daß ich den Ausdruck ihres Gesichtes nicht wahr­nehmen konnte. Gleichzeitig erhielt ich von Kain Sinoda unter dem Tisch einen wohlgezielten Fuß­tritt, daß ich ihn nicht anders als eine Zarte Auf­forderung, den Gesprächsstoff zu wechseln, zu deuten vermochte.

Sollte der Mangel eines eignen Fuhrwerkes wirklich im Leben unsrer geistreichen Wirtin eine empfindliche Lücke bilden? Das vermochte ich nicht zu glauben. Außerdem wußte ich, daß die Mar­chesa über einen großen Wohlstand verfügte, der ihr sehr wohl diesen bescheidenen Luxus gestattet hätte.

Der leichte Mißton, den meine Frage erregt, lenkte indessen unser verflachtes Gespräch wieder in ernstere Bahnen, in denen der originelle Geist der Hausfrau von neuem Gelegenheit fand, zu glänzen.

Als ich eine Stunde später mit Kain Sinoda die breite Marmortreppe des Palastes hinunterschritt, nahm ich die begründete Ueberzeugung mit mir, einer der kenntnisreichsten Frauen des modernen Italien gegenübergestanden zu sein. Die krausen Absonderlichkeiten, die ihrem Bilde anhafteten, waren sicherlich nur das unschädliche Unkraut, das nun ein­mal jedes Menschenleben umwuchert, auf dem ein dunkler, kalter Schatten ruht.

Denn daß die Vergangenheit dieser Frau einen Schatten auswies, darüber hegte ich keinen Augen­blick einen Zweifel. Welcher Art freilich dieses Un­freundliche im Dasein der Marchesa gewesen, dar­über war ich mir nicht klar. Da ich aber ge­hört hatte, daß sie in jungen Jahren einen regen Anteil an den Einigungsbestrebungen ihres Vater­landes genommen, gefiel ich mir darin, an einen schmerzvollen Liebesroman mit einem der großen Männer jener Zeit zu glauben. Eine Seelentragödie schwebte mir vor, von einfacher, erschütternder Größe, wie sie nur zwischen zwei geistreichen, vornehmen Menschen möglich ist.

Ungeahnt rasch sollte ich in das Geheimnis ein­geweiht werden, und das kam so.

Kain Sinoda hatte entschieden, daß man den