Die Equipage der Familie Aodanelli.
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wie sie ein Werk von Gregorovius verlangte. Das erregte meine Aufmerksamkeit.
Während der Angestellte das Buch aus dem Magazin herbeiholte, griff die Fremde ans das Geratewohl in einen Stoß der Engelhornschen Bibliothek, der vor ihr ausgestapelt lag. Gleichgültig, Zerstreut las sie die Aufschrift des roten Umschlages, und rasch, als habe sie eine Enttäuschung erlebt, legte sie den Band auf seinen Platz zurück. Ich glaubte Zu bemerken, wie sich jene, den Florentinern eigne Falte um die Mundwinkel, die so beredt Geringschätzung ausdrückt, in ihrem Gesichte eingrub.
Inzwischen kehrte der Verkäufer mit dem gewünschten gelehrten Werke zurück. Die Dame bezahlte den geforderten Preis und verließ den Laden. Ich aber griff nun neugierig nach dem roten Bändchen, das sie so wegwerfend behandelt hatte. Es war eine neuere Arbeit von Richard Voß: „Die Villa Falconieri", ein Roman, den der Dichter „Die Geschichte einer Leidenschaft" benennt.
Diese Aufschrift schien das Mißfallen der Fremden erregt zu haben. Aber war es nicht seltsam, daß gerade eine Frau, Zu deren Ehren die deutschen Poeten ja unermüdlich Liebesgeschichten ersinnen, den neuen Gesang auf der alten Melodie nicht hören wollte? Allerdings — sie las Gregorovius. Ausnahmen bestätigen ja schließlich die Regel.
Während ich mich noch mit dergleichen Betrachtungen trug, wurde die Thür des Ladens geöffnet und die „Ausnahme" ihres Geschlechtes erschien wieder auf der Schwelle. Ohne zu zögern — wie ein Mensch, der eine wohlüberlegte Handlung ausführt — trat sie an den Verkausstisch, ergriff das vorhin verachtete Bändchen, überzeugte sich durch einen flüchtigen Blick, daß es das richtige, und hielt es dem Buchhändler mit der Frage nach dem Preis hin. Sie mußte sich die Sache auf der Straße überdacht haben. Das alte Zauberwort auf dem Umschläge hatte feine magnetische Kraft bewährt.
Obgleich mich die kleine Scene damals sehr ergötzt, hatte ich sie doch in der Fülle der Eindrücke der letzten Tage gänzlich vergessen. Erst als ich der Marchesa Nodanelli bei Tische gegenüber saß und grübelte, wo ich denn ihr schmales, kluges Ge- sichtcheu schon gesehen, fiel mir der Vorfall wieder ein.
Die Mahlzeit war in der heitersten Stimmung und durch gute Gespräche gewürzt verlaufen. Unsre Gastgeberin hatte sich als eine ebenso belesene wie feinsinnige Kennerin der italienischen Geschichte entpuppt. In den verwickeltsten Epochen derselben war sie so gründlich bewandert, als hätte sie all diese Ereignisse selbst miterlebt. Dabei glich ihr Wissen nicht der toten, aus Ziffern und Zahlen zusammengesetzten Schulweisheit, sondern war von einen: dichten Gewebe intimer Details und kleiner Anekdoten umrankt und belebt. Sie war in den Geist der einzelnen Decennien eingedrungen — eine mühevolle Arbeit, die umfassende Kenntnisse auf dem Gebiete der Volkswirtschaft, der Kunst, der Politik und hauptsächlich der Memoirenlitteratur vorausfetzt.
Dazu besaß sie in hohem Grade das Talent, anregend zu plaudern. Es war eine Freude, ihr zuzuhören. Leider hatte unser Gespräch beim Nachtisch in seichtere Bahnen eiugelenkt, ja, während wir im Salon den Kaffee schlürften, war es auf das Niveau des banalen Touristenklatsches herabgesunken. Wir besprachen die Eigentümlichkeiten der italienischen Gesellschaft, und die Freude der Südländer an prunkenden Equipagen und endlosen Korsofahrten lieferte mir Stoff zu billigem Spotte.
„Nur Sie, Marchesa," schloß ich meine Philippika, „scheinen diese Vorliebe Ihrer Landsleute nicht zu teilen. Ich habe Sie wenigstens nie in den Kafsinen oder auf dem Lungarno daherrollen gesehen."
„Nein," entgegnete sie, „ich besitze keine Equipage." Die Worte sielen so herb und bitter von ihren Lippen, daß ich erstaunt aufblickte.
Aber die Sprecherin hatte den Kopf vorgeneigt und machte sich angelegentlich an einer Dose, die sich scheinbar durchaus nicht öffnen wollte, zu schaffen, so daß ich den Ausdruck ihres Gesichtes nicht wahrnehmen konnte. Gleichzeitig erhielt ich von Kain Sinoda unter dem Tisch einen wohlgezielten Fußtritt, daß ich ihn nicht anders als eine Zarte Aufforderung, den Gesprächsstoff zu wechseln, zu deuten vermochte.
Sollte der Mangel eines eignen Fuhrwerkes wirklich im Leben unsrer geistreichen Wirtin eine empfindliche Lücke bilden? Das vermochte ich nicht zu glauben. Außerdem wußte ich, daß die Marchesa über einen großen Wohlstand verfügte, der ihr sehr wohl diesen bescheidenen Luxus gestattet hätte.
Der leichte Mißton, den meine Frage erregt, lenkte indessen unser verflachtes Gespräch wieder in ernstere Bahnen, in denen der originelle Geist der Hausfrau von neuem Gelegenheit fand, zu glänzen.
Als ich eine Stunde später mit Kain Sinoda die breite Marmortreppe des Palastes hinunterschritt, nahm ich die begründete Ueberzeugung mit mir, einer der kenntnisreichsten Frauen des modernen Italien gegenübergestanden zu sein. Die krausen Absonderlichkeiten, die ihrem Bilde anhafteten, waren sicherlich nur das unschädliche Unkraut, das nun einmal jedes Menschenleben umwuchert, auf dem ein dunkler, kalter Schatten ruht.
Denn daß die Vergangenheit dieser Frau einen Schatten auswies, darüber hegte ich keinen Augenblick einen Zweifel. Welcher Art freilich dieses Unfreundliche im Dasein der Marchesa gewesen, darüber war ich mir nicht klar. Da ich aber gehört hatte, daß sie in jungen Jahren einen regen Anteil an den Einigungsbestrebungen ihres Vaterlandes genommen, gefiel ich mir darin, an einen schmerzvollen Liebesroman mit einem der großen Männer jener Zeit zu glauben. Eine Seelentragödie schwebte mir vor, von einfacher, erschütternder Größe, wie sie nur zwischen zwei geistreichen, vornehmen Menschen möglich ist.
Ungeahnt rasch sollte ich in das Geheimnis eingeweiht werden, und das kam so.
Kain Sinoda hatte entschieden, daß man den