Heft 
(1897) 07
Seite
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Die Equipage der Kamille Kodanekki.

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Heimfahrt Giovanni inbegriffen, dünkte ihr selbst­verständlich.

Die geschäftliche Ruhe der beiden Männer wirkte lähmend auf ihre Seele. Statt der schönen, warmgefühlten Worte, die sie gern gesprochen hätte, flüsterte sie ein bescheidenes: ,Ja, Papa!' und ge­horchte dem väterlichen Befehl.

Damit sie die Unterredung nicht hören sollte, schloß der Marquis sorgfältig hinter ihr die Thür. Aber seine Vorsicht war trügerisch. Er, der sein ganzes Leben zwischen den mächtigen Mauern seines Palastes verträumt, rechnete in diesem erregten Augenblick nicht mit den dünnen Holzwänden einer elenden Trattoria.

Das lauschende Mädchen vernahm jedes Wort ebensogut, als ob sie im Zimmer anwesend gewesen wäre. Selbst der tiefe, schwere Atemzug, mit dem der Vater das Gespräch mit Giovanni eröffnete, klang wie eine Anklage zu der Lauschenden herüber.

.Und jetzt zu Ihnen, mein Herr!' Hub der Marquis au. ,Meine Tochter hat sich in einer- romantischen Schrulle gefallen. Sie haben ihr da­bei hilfreich die Hand geboten. Ich enthalte mich aller Vorwürfe aber Sie werden begreifen, daß die Sache hiermit beendigt sein muß!'

.Ich liebe Ihre Tochter,' ließ sich Giovanni nun vernehmen, ,und bitte. . .'

Aber der alte Herr gestattete ihm nicht, seinen Satz Zu beenden. ,Lassen Sie die Possen!' unterbrach er ihn barsch. ,Sind Sie etwa in der Lage, die Kosten eines Hausstandes zu bestreitend Ich darüber seien Sie sich klar kann meiner Tochter keine andre Mitgift geben als einen ehrlichen Namen.'

Mir würden ja nicht viel benötigen!' lenkte der Jüngling sichtlich betroffen ein. .Nur eine kleine Summe, um ein eignes Geschäft zu gründen!'

,Jch bin gänzlich verarmt,' entgegnete der Marquis. Mit dem wenigen Gelde, das ich im Notfall ausbringen könnte, würde es Ihnen allein allenfalls gelingen, sich selbständig zu stellen, nie aber, eine Familie zu ernähren.'

.Wie meinen Sie das, Herr Marquis?'

.Ich will Sie für Ihre getäuschten Hoffnungen entschädigen. Nehmen Sie das Geld für das Ver­sprechen, nie mehr mit meinem Kinde in Verkehr zu treten.'

Die kleine Marchesa erbebte hinter der Thür. Das wagte ihr Vater ihrem schönen Helden zu bieten! Sie meinte nicht anders, als daß sich Gio­vanni auf den Beleidiger stürzen und die Schmach auf der Stelle rächen würde. Schon wollte sie die Thür aufreißen, um sich schützend zwischen die beiden Männer zu werfen, aber da klang die einschmeichelnde Stimme des Geliebten an ihr Ohr.

,Jst es auch wahr, daß Sie gar keine Mitgift geben wollen?' forschte er vorsichtig als kluger Ge­schäftsmann.

,Jch habe nie gelogen!' entgegnete der Mar­quis. .Gehen Sie auf meinen Vorschlag ein, ja oder nein?'

,Oll 8nra äiküeile!' rief der Jüngling in jenem den Italienern eigentümlichen kurzen, lebhaften

Ton, der eine halbe Zusage enthält. Eine kleine Pause entstand. .Wieviel würden Sie geben?' fragte er dann unschlüssig.

Und nun entspann sich ein widerwärtiger, klein­licher Handel. Dem Entführer erschien die an­gebotene Summe Zu gering, der Marquis erklärte, nicht mehr Geld flüssig machen zu können. Schließ­lich einigte man sich auf viertausend Lire, zahlbar am nächsten Tage. Zeit und Ort wurden verabredet.

Dann verließ einer der beiden Männer das Gemach. War es der Geliebte? War es der Vater? Die arme kleine Marchesa im Nebenzimmer fragte nicht danach. Ihr war es gleich. In diesem Augenblick erschienen ihr beide Männer gleich ver­ächtlich, gleich hassenswert.

Sie war auf das schmale, harte Ruhebett, das längs der Wand hinlief, gesunken und preßte beide Hände gegen die Ohren, nur um nichts mehr hören zu müssen.

Wie lange sie so gelegen, wußte sie nicht. Viel­leicht waren es lange Stunden, vielleicht wenige Minuten. Als sie wieder zu sich kam, saß der Marquis neben ihr und kühlte ihr mit einem nassen Tuch die Schläfen. .Komm, fahren wir nach Hause!' sagte er einfach.

Willenlos nahm das Mädchen seinen Arm. Vor dem Gasthose hielt die Equipage. Der Vater hob sein Kind in den Wagen. Dann rollte das alt­modische, unschöne Gefährt davon, nach Florenz zurück.

Es war eine Helle, lautlose Sommernacht. Stumm und ernst saßen die beiden Menschen neben­einander, jeder auf seiner Seite in die schlafende Landschaft starrend. Nur als die Straße durch ein dunkles, verschwiegenes Gehölz führte, löste sich der unheimliche Bann von dem Mädchen. Hart und thränenlos ausschluchzend, lehnte sie sich in die Kissen zurück.

Da beugte sich der Marquis über sie, zog sie fest an sich und raunte ihr mit bebender Stimme leise, ganz leise zu: ,Ja, ja, mein armes Kind, die Menschen sind Bestien nichts als Bestien!'

Sie verstand sehr Wohl, was er damit sagen wollte. Plötzlich ahnte sie, daß er bei jenem schmach­vollen Handel nicht weniger gelitten hatte als sie selbst, und daß er die Kraft, ihn so kaltblütig zu führen, aus einer langen Reihe stumm und stolz ertragener Demütigungen geschöpft. Sie tastete nach seiner kühlen, welken Hand und preßte mitleidig und dankbar ihre fiebernden Lippen daraus. Dann saßen sie wieder stumm und ernst nebeneinander, jeder auf seiner Seite in die schlafende Landschaft starrend.

*

Die nächsten Tage verbrachte die kleine Mar­chesa aus ihrem Zimmer. Eine volle Woche verging, ehe sie sich wieder mit der Führung des Haushaltes befaßte. Da fiel es ihr aus, daß der Vater seine tägliche Fahrt in die Cassinen ausgegeben hatte, und als sie darüber den Diener befragte, erfuhr sie, Pferd und Wagen seien schon am Tage nach jenem Ausfluge nach Risredi verkauft worden. An die Nächstbesten, um ein Spottgeld.