Heft 
(1897) 07
Seite
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Weber Land und Meer.

Besinnung. Verwirrt, erschrocken, bog sie, ohne Zu überlegen, was sie that, in die nächste Seitenstraße ein. Sie fühlte nur das brennende Bedürfnis, sich feinen Blicken zu entziehen; sie wollte ehrlich ent­fliehen.

Sie beschleunigte die Schritte, sie lief fast. Aber plötzlich sperrte eine Gartenmauer ihren Weg. Sie war in ein enges Sackgäßchen geraten. Nun wollte sie umkehren, aber schon bog Giovanni um die Ecke. Langsam, wie ein schönes, unerbittliches Verhängnis kam er auf sie zu.

Ihm, der wohl wußte, daß diese Straße keinen Ausgang hatte, mußte die Flucht als eine Auf­forderung, dem Mädchen zu folgen, erscheinen. Das verlieh ihm höheren Mut, als er ihn sonst wahr­scheinlich besessen haben würde.

Er warf die Zigarette weg. Dann sprach er sie an sanft, fast demütig mit lächelnden Lippen, von denen er wußte, wie gut sie ihn klei­deten. Und sie sie stand vor ihm, am ganzen Leibe zitternd, unfähig, auch nur ein Wort zu stammeln. So mußte sie seine verführerische Stimme hören.

Was sprach er zu ihr? Das Banalste und Alltäglichste. Um eine Blüte bat er sie aus dem kleinen Strauße, der an ihrem Gürtel befestigt war. Aber gerade der Umstand, daß er sie wie eine Be­kannte behandelte, ihre langmonatliche Augensprache als etwas Selbstverständliches gar nicht erwähnte oder entschuldigte, verwirrte die kleine Marchesa vollends.

Ein Fenster klirrte über ihren Köpfen. Eine dicke Frau in weißer Nachtjacke lehnte sich aus der Brüstung. Das brachte unser Fräulein Zur Be­sinnung. Sie fand die Kraft zu entfliehen, aber es war zu spät, schon war sie dem Zauber ver­fallen.

Als thörichtes junges Ding war sie in das Sackgäßchen eingebogen mit einer sinnverwirrenden Leidenschaft im Herzen verließ sie es wieder. Der wichtigste Wendepunkt im Leben eines Mädchens ist nun. einmal die Stunde, in der ihm zum erstenmal von Liebe gesprochen wird.

Das Folgende ergab sich von selbst.

Es blieb nicht bei dieser ersten Begegnung. Die Verliebten sprachen sich noch sechs- oder sieben­mal immer in derselben schmalen, engen Gasse immer nur wenige, flüchtige Minuten immer in der heißen, süßen Mittagsglut.

Aber diese kurzen Augenblicke bildeten von nun an die Marksteine im Leben der kleinen Marchesa. Den ganzen übrigen Tag ging sie im Traum wie eine Nachtwandlerin umher.

Zur Unzeit war die alte Magd erkrankt, zur Unzeit ward sie wieder gesund. Der Brand loderte gerade am hellsten, als durch ihre Genesung den verschwiegenen Stelldichein ein Ziel gesetzt wurde.

Von Giovanni Beppe zu lassen, schien dem bethörten Mädchen ein Ding der Unmöglichkeit; die einzige Lösung deuchte ihr die Ehe. Aber dermaßen verwirrt war sie denn doch nicht, um zu glauben, daß der stolze Marquis ohne weiteres seine Zu­

stimmung zu ihrem Bunde geben würde. Und da beschloß sie ganz einfach zu fliehen.

Der abenteuerliche Gedanke war ihr ausschließ­liches geistiges Eigentum. Giovanni erschrak sogar anfangs, als er die ernste Wendung erkannte, die diese Liebelei zu nehmen drohte. Dann aber ging er eifrig aus den kühnen Plan ein. Die Erwägung, daß eine Ehe mit einem Mädchen, das so vornehm in der eignen Equipage dahersuhr, für einen armen Handlungsgehilfen immerhin einen unerwarteten Glücksfall bedeute, mochte für seinen männlichen Entschluß ausschlaggebend gewesen sein.

lieber das Wie und Wo der Flucht war man sich bald einig. Am kommenden Sonntag sollte das Fräulein, während der Marquis seinen Spaziergang in den Laubgängen, der Cassinen unternahm, Un­wohlsein heucheln und im Wagen sitzen bleiben, dann aber sowie der Vater außer Sehweite die Equipage verlassen und zu Giovanni eilen, der an einem bestimmten Platze ihrer harren und sie in einem Mietsfnhrwerke nach dem nahen Dörfchen Risredi entführen würde. Von dort aus wollten sie ungesäumt die Einwilligung des alten, wackeren Herrn erflehen.

Der Plan war so einfach, daß ein Mißlingen schlechterdings unmöglich erschien. Alles spielte sich auch ab, wie die klugen jungen Leute es voraus­gesehen. Selbst der Himmel, der doch von Rechts wegen dergleichen Thorheiten nicht Vorschub leisten sollte, schien es gut mit den Verliebten zu meinen und Zeigte an diesem Tage eine strahlende, lachende Helle.

So saßen denn in einem armseligen Zimmer des bescheidenen Dorswirtshauses zu Risredi die kleine Marchesa und der schöne Giovanni traulich bei ihrer Mahlzeit und freuten sich des gelungenen Streiches, als ganz unerwartet die vornehme, hagere Gestalt des alten Marquis im Thürrahmen erschien.

Ein glücklicher Zufall hatte ihm die Spuren der Flüchtlinge entdeckt, und ohne einen Augenblick zu verlieren, hatte er in seiner Equipage die Verfolgung ausgenommen. Der Tochter war das junge Liebes­glück so sehr in das Köpfchen gestiegen, daß sie nicht anders meinte, als der Vater werde nun gleich seinen Segen erteilen. Auf einige harte Worte, die sie vorerst zu hören bekommen würde, war sie aller­dings gefaßt, aber selbst diese blieben ungesprochen.

Ernst, jedoch nicht unfreundlich wehrte der alte Herr ihre stürmische Umarmung ab und be­fahl sanft: ,Geh in das Nebenzimmer, mein Kind! Ich habe mit diesem Herrn hier ein Wort unter vier Augen Zu reden. In einer Viertelstunde bin ich bei dir und wir fahren dann gemeinsam nach Hause?

Einen Augenblick zauderte die Marchesa und blickte unschlüssig bald aus den Vater, bald aus den Geliebten, der in anmutiger Haltung neben dem Tisch lehnte. Eigentlich hatte sie sich das alles ganz anders gedacht. Sie war ein mutiges Mädchen und hätte ganz gern ein wenig für ihr Glück gekämpft. Einen anregenden, liebevollen Kampf, in welchem der Sieg sicher winkt. Aber dazu schien es gar nicht zu kommen, denn daß in der , gemeinsamen'