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Meöer Land und Meer.
„Brennende Schamröte auf den Wangen, eilte die kleine Marchesa in ihr Kämmerlein zurück. Keiner brauchte ihr zu sagen, wofür der Vater das Geld benötigt hatte.
„Niemals wurde dieses Umstandes zwischen dem alten Herrn und seinem Kinde Erwähnung gethan. Der Marquis war bestrebt, das gebrachte Opfer in den Augen seiner Tochter durch heitere Fröhlichkeit zu bemänteln, und diese wieder kannte kein andres Ziel, als die letzten Jahre des Vaters zu verschönen und ihm durch Liebe seine Equipage zu ersetzen. Und das ist ihr ehrlich gelungen..."
Kain Sinoda schwieg. Er hatte erregt und leidenschaftlich gesprochen. Jetzt blickte er sinnend vor sich nieder.
„Hat dir die Marchesa Rodanelli diese Geschichte selbst gebeichtet?" fragte ich teilnehmend.
Der Freund fuhr empört auf: woher ich denn wisse, daß es sich um diese Dame handle? Er habe doch keinen Namen genannt. Den kleinen Zwischenfall und den wohlgezielten Fußstoß im Salon der Marchesa hatte Kain in seiner Zerstreutheit gänzlich vergessen.
Als er nun erfuhr, wie er mich aus die richtige Fährte gesetzt, schien der gute Junge auf das äußerste bestürzt, daß er das Geheimnis seiner Gönnerin so schlecht gehütet habe. Nur mit Mühe gelang es mir, seine heftigen Selbstanklagen Zu beschwichtigen.
„Zum Teufel auch!" meinte er schließlich trotzig, „es ist kein triftiger Grund vorhanden, weshalb diese klägliche Geschichte verborgen bleiben müßte. Einmal im Leben ist wohl ein jeder von uns in ein gefährliches Fahrwasser geraten. Es kommt nur daraus an, daß man nicht Schiffbruch leidet, sondern beizeiten wieder mutig den rechten Kurs einschlägt. Und das hat die Marchesa redlich gethan. Du hast ja heute Gelegenheit gehabt, dich davon zu überzeugen. Sie ist stark und klug. Die trübe Episode ist spurlos an ihr vorübergegaugen. Nur eine eigne Equipage hat sie nie mehr besitzen wollen; selbst dann nicht, als ihr bald nach dem Tode des Vaters ganz unerwartet eine große Erbschaft zufiel."
Ich mußte jener ersten Begegnung im Bücherladen gedenken, und da stiegen denn doch bedenkliche Zweifel in mir aus, ob diese Abneigung gegen ein eignes Gefährt die einzige wunde Stelle sei, die jene traurige Erfahrung an unsrer geistreichen Wirtin zurückgelassen.
Es war ja vielleicht nur ein Zufall, aber obgleich wir bei Tische sehr aufgeräumt und heiter gewesen, ein so recht herzliches Lachen hatte ich von der Marchesa nicht zu hören bekommen.
Ich machte Kain Sinoda aus diesen Umstand aufmerksam. Er nickte und erwiderte nachdenklich: „Siehst du, da hast du heute schon zum zweitenmal als blinde Henne ein Korn gesunden. Ich kenne die Marchesa Agathe nun doch schon über zehn Jahre, aber in dieser ganzen Zeit lachen — so recht von Herzen lachen — habe ich sie nie gesehen!"
Die Königliche Mologische Anstatt auf Helgoland.
Mit 5 Abbildungen nach Aufnahmen von Hofphotograph Schensky.
Von
Vv. Kaut Kermann.
ie Gründung der Biologischen Anstalt ans Helgoland fällt in das Jahr 1892. Laboratorien an der Meeresküste, die die wissenschaftliche Erforschung des Meeres zum Zweck haben, bestehen an mehreren Punkten, besonders der englischen, französischen und italienischen Küste, schon seit längerer Zeit und wurden gemeinhin als zoologische Stationen bezeichnet, weil zur Zeit ihrer Entstehung gerade die Untersuchung über die Entwicklungsgeschichte der marinen Tiere im Vordergründe des Interesses stand. Die berühmteste und am vollkommensten eingerichtete Station, die zu Neapel, verdankt vorzüglich der Energie eines deutschen Gelehrteil, A. Dohrn, und der verständnisvollen Unterstützung der deutschen Regierungen ihr Aufblühen; ihre Lage an einem außerdeutschen Küstenpunkt ist dem Umstande zuzuschreiben, daß die Fauna der deutschen Gewässer, der Ost- und Nordsee, als eine weniger reichhaltige bezeichnet werden muß, und daß überdies die Universität Kiel bereits die Erforschung dieser Meeresabschnitte als ihre natürliche Aufgabe erkannt hatte und darin von der 1870 begründeten Kommission zur wissenschaftlichen Untersuchung der deutschen Meere, die ihren Sitz in Kiel nahm, auf das Thatkräftigste unterstützt wurde. Ein Punkt aber im deutschen Meeresgebiete war es, der von jeher das Interesse der deutschen Zoologen und Botaniker auf sich gezogen hatte, die kleine, in: englischen Besitze befindliche Insel Helgoland, die au Mannigfaltigkeit und Reichtum der Tiere und Pflanzen alle andern Punkte weit übertraf. Wenn trotzdem alle Pläne, hier eine ausschließlich wissenschaftlichen Meeresuntersuchungen dienende Station ins Leben zu rufen, immer wieder beiseite gelegt werden mußten, so hatte dies vornehmlich seinen Grund in den Schwierigkeiten, die in der Zugehörigkeit zu einem fremden Staate lagen. Als daher Helgoland im Jahre 1890 in deutschen Besitz kam, wurde der alte Plan sofort wieder ausgenommen und mit Unterstützung der Berliner Akademie der Wissenschaften, der Deutschen zoologischen Gesellschaft und des Deutschen Seefischereivereins von der preußischen Regierung glücklich durchgeführt.
Die der Biologischen Anstalt zugeteilten Aufgaben zerfallen in solche der reinen Biologie des Meeres und solche der angewandten Meereskunde, das heißt praktisch-wissenschaftliche Untersuchungen im Dienste der deutschen Seefischerei. Die ersteren, die rein biologischen Aufgaben bestehen allgemein in der Untersuchung der Lebensverhältnisse in den deutschen Meeren, fürs erste in der Nordsee. Dieser Zweck, in dem weitgehenden und umfassenden Sinne, der in den Worten liegt, von ihr als Programm angenommen, umfaßt eine Reihe besonderer Aufgaben. Zunächst wurde die systematische Erforschung der Fauna und Flora des Helgoland umgebenden Meeresabschnittes in Angriff genommen und, soweit es die zur Verfügung stehenden Mittel bisher erlaubten, auch auf die Tier- und Pflanzenwelt der benachbarten Küstenstriche ausgedehnt. Nach der systematischen Bearbeitung des Materials, gleichermaßen der Inventaraufnahme, die entsprechend dem geringeren Formenreichtum hier weniger Zeit in Anspruch nehmen wird wie in Neapel, kann dann jenes unerschöpfliche Gebiet betreten werden, das die Fragen der speziellen Morphologie und Anatomie, der Entwicklungsgeschichte, der allgemeinen Biologie, der Physiologie und des Artbegriffes in sich saßt. Um von der Mannigfaltigkeit dieser Aufgaben eine Vorstellung zn- geben, sei nur erwähnt, daß eine allgemeine Biologie die