Heft 
(1897) 07
Seite
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Die Königliche Dialogische Anstalt auf Helgoland.

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Fortpflanzung, die Entwicklung und Ernährung, die Ab­hängigkeit von äußeren Bedingungen, die Lebensdauer, die Wanderungen von Tieren und Pflanzen, den Wechsel der Fauna und Flora in den verschiedenen Jahreszeiten, die Anpassung der Organismen und vieles andre zu berück­sichtigen hat. Zu der Erforschung der marinen Lebens­verhältnisse gehören aber auch die Fragen nach der physi­kalischen und chemischen Beschaffenheit des Meerwassers, nach den Meeresströmungen und dem geologischen Bau des Meeresbodens. Zu den bemerkenswerten Aufgaben der Biologischen Anstalt ist ferner die Beschaffung von lebenden und konservierten Seetieren und Pflanzen für wissenschaft­liche Institute, Museen, Schulen und so weiter zu rechnen. Der Versand von solchem wissenschaftlichen Material hat in den letzten Jahren einen recht bedeutenden Umfang erreicht.

Der zweite und in Zukunft immer wichtiger werdende Teil der Arbeiten der Biologischen Anstalt liegt, wie be­reits gesagt wurde, auf dem Gebiet der praktisch-wissen­schaftlichen Arbeiten im Dienste der Seefischerei. Es ist bekannt, welchen ungeheuren Aufschwung die Hochseefischerei in der Nordsee in den letzten fünfzig Jahren genommen und welchen erfreulichen, von Jahr zu Jahr steigenden Anteil auch Deutschland au ihr gewonnen hat. Die Mög­lichkeit einer Ueberfischung der Nordsee als Folge dieser kolossal gesteigerten Befischung namentlich mit dem großen Grundnetz oder Trawl liegt nach dem Urteil zahlreicher Sachverständiger sehr nahe, und schon beschäftigt man sich in den interessierten Küstenländern, namentlich in England, ernstlich mit der Erwägung, ob nicht durch internationale Schongesetze und rationelleren Betrieb der Fischerei der drohenden Gefahr vorgebeugt werden kann. Dabei erkennt man immer deutlicher, daß eine der ersten und unerläß­lichen Vorbedingungen für einen gedeihlichen Betrieb der Hochseefischerei eine genaue, wissenschaftlich begründete Kenntnis der Naturgeschichte der nutzbaren Seefische ist, ihrer Ernährung, ihrer Wanderungen und ihrer Abhängig­keit von den physischen Bedingungen des Meeres. Die Notwendigkeit, solche Kenntnisse zu sammeln, rechtfertigt voll­auf die Errichtung wissenschaftlicher Seefischerei-Laboratorien am Meere. Die Helgoländer Anstalt nimmt unter diesen speziell auf dem Seefischereigebiet arbeitenden Laboratorien jedenfalls eine der ersten Stellen ein.

Die Anstalt wird von einem Direktor, dem bekannten Ichthyologen Professor Heincke, geleitet, der zugleich Mit­glied der Kieler Kommission ist und sich durch seine Unter­suchungen über die Naturgeschichte des Herings und seine Arbeiten auf dem Gebiete der Seefischerei einen Namen erworben hat. Er wird in seiner Aufgabe von drei Assi­stenten unterstützt, die gleichsam als Abteilungsvorstände fungieren und von denen der erste, Or. Hartlaub, die wissenschaftliche Zoologie, der zweite, vr. Ehrenbaum, die Seefischerei, und der dritte, Or. Kuckuck, die Botanik ver­tritt. Diese vier wissenschaftlichen Beamten arbeiten dauernd an der Durchführung des oben dargelegten vielseitigen Programms der Anstalt. Aber abgesehen davon, daß ihre Kräfte für ein so reich verzweigtes Gebiet, wie es die moderne Zoologie und Botanik ist, und bei dem die Arbeits­teilung so weit vorgeschritten ist, nicht ausreichen würden, soll die Helgoländer Station gleich ähnlichen Instituten an andern Küstenpunkten auch den Gelehrten des Binnen­landes eine Arbeitsstätte bieten, wo sie bequem und mit allen Hilfsmitteln eines größeren Universitätsinstituts aus­gerüstet, ihren Studien obliegen können. Es sind deshalb an der Anstalt siebenArbeitstische" für fremde Gelehrte eingerichtet und mit allem Zubehör reichlich ausgestattet.

Die wissenschaftlichen Arbeitszimmer und die zu ihnen gehörigen Räumlichkeiten befinden sich in einem früheren Logierhause, das vom Staate zu diesem Zwecke angekauft und umgebaut wurde, an der Ostspitze des Unterlandes in

sehr günstiger Lage unmittelbar an der See. Auch das daneben liegende, früher der Post dienende Gebäude ist für die Zwecke der Biologischen Anstalt eingerichtet worden, seitdem die Post ihr sehr stattliches Heim in der Kaiser­straße bezogen hat.

Ein neues, mit allen modernen wissenschaftlichen Ein­richtungen versehenes Jnstitutsgebäude fehlt der Anstalt leider noch. Die jetzigen Gebäude und Erweiterungen der­selben können nur als Provisorium angesehen werden, teils, wegen der Kleinheit der Räume, teils und vor allem des­halb, weil die unentbehrlichen größeren Aquarieneinrichtungen mit direkter Seewasserleitung fehlen und ohne umfassenden Neubau nicht eingerichtet werden können. Gerade die Be­obachtung lebender Tiere und Pflanzen muß ja zu den wichtigsten Aufgaben eines maritimen Laboratoriums ge­rechnet werden, das allgemeine biologische Probleme lösen will und unter anderin auch die künstliche Aufzucht von Seetieren, speziell Nutzfischen im Interesse der Seefischerei anstrebt.

Im übrigen kann die innere Ausstattung der Biologi­schen Anstalt eine befriedigende und für die gegenwärtigen Verhältnisse durchaus genügende genannt werden. Es fehlt weder an den nötigen optischen und technischen Instrumenten, wie Mikroskopen, Mikrotomen, mikro- und makrophotographi­schen Apparaten und all den speziellen Vorrichtungen und Werkzeugen, die bei der sehr entwickelten Technik der Unter­suchungsmethoden erforderlich sind, noch an den zahlreichen Reagentien und Konservierungsflüssigkeiten,' vor allem ist aber bereits jetzt eine reiche Bibliothek von etwa 2400 Bänden und zahlreichen Broschüren vorhanden, die außer ^ einer Reihe allgemeinerer und speziellerer Einzelwerke auch 125 verschiedene Zeitschriften umfaßt. In dieser Hinsicht hat die Helgoländer Anstalt manches ältere Laboratorium überflügelt.

Ein guter Schritt vorwärts wurde in ihrer Entwicklung gethan, als das Streben nach Erweiterung der Räumlich­keiten zur Einrichtung eines Museums führte. Das frühere Konversationshaus, ein stattliches Gebäude an der Siemens­terrasse, wurde der Biologischen Anstalt von der Gemeinde zur Begründung einesNordseemuseums" überlassen. Dieses Museum soll mit der Zeit eine vollständige wissen­schaftliche Sammlung der Tier- und Pflanzenwelt der Nord­see umfassen, also ein Lokalmuseum der Nordsee und der benachbarten Meere werden, zugleich aber auch als Schan- sammlung dem zahlreich Helgoland besuchenden Badepublikum anschauliche Belehrung über das Leben des Meeres bieten. Freilich, ohne die Hochherzigkeit eines deutschen Ge­lehrten, des namhaften Botanikers Pringsheim, der 25 000 Mark für diesen Zweck stiftete, würde der Plan auch heute noch auf seine Ausführung warten. Nachdem im Jahre 1896 mit diesem Geld der Umbau des Hauses, zu dem auch ein hübscher Garten gehört, bewirkt und mit Hilfe eines weiteren staatlichen Zuschusses die erste Ein­richtung bewerkstelligt worden war, konnte im vorigen Sommer der untere Saal dem öffentlichen Besuch übergeben werden. In ihm hat zunächst die berühmte und wissenschaftlich höchst wertvolle Sammlung Helgoländer Wandervögel Platz ge­funden, die der verstorbene Regierungssekretär Gätke durch fünfzig Jahre hindurch gesammelt hat und die 1890 vom Reiche angekauft wurde. Voraussichtlich wird schon in diesem Jahre auch der obere große Saal dem Publikum zugänglich sein.

Sehr vorteilhaft ist die natürliche Lage der Station, mitten in einer Meeresbucht und ohne die Nachteile einer großen Stadt, deren Abwässer für das Tier- und Pflanzen- leben sehr nachteilig sind. So ist es möglich, nicht nur gut entwickeltes Material zu sammeln, sondern dasselbe auch aus das rascheste, oft innerhalb einer Stunde, nachdem der Wunsch danach geäußert wurde, zu beschaffen. Es sind