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Weber ^Land und Meer.
hier keine langen Dampfer- und Bootsfahrten nötig, wie beispielsweise in Kiel oder auch in Triest, wo durch große Hafenanlagen die nahegelegenen Tier- und Pflanzenbestände beeinträchtigt oder gar zerstört worden sind, das Arbeitsmaterial findet sich hier vielmehr im wahrsten Sinne des Wortes vor der Thür.
Die Beschaffung des frischen Untersuchungsmaterials, überhaupt die ganze wissenschaftliche und praktische Fischerei auf der See, wird von dem Fischmeister der Anstalt, Uve Jens Lornsen geleitet, unter dem die dauernd von der Station beschäftigten und vortrefflich geschulten Fischer arbeiten. Als Exkursionsfahrzeuge dienen zwei Ruderboote, zwei Segelboote und ein seetüchtiger Petroleummotor, mit dem auch weitere Fahrten nach den friesischen Inseln und der Elbemündung unternommen werden.
Zum Schluß bitten wir den Leser, uns im Geiste auf einigen Exkursionen zu begleiten. Eines der interessantesten Terrains, sowohl in zoologischer wie botanischer Hinsicht, ist die sogenannte Westseite, das heißt jenes bei niedrigem Wasserstand trocken fallende Klippengebiet, das der senkrecht aufsteigenden Felswand im Südwesten vorgelagert ist. Besonders im Frühjahr, zur Zeit der tiefen Ebben, ähnelt es einem frischgepflügten Ackerfelde, das von zahlreichen, mit Wasser gefüllten Rillen der Länge und Quere nach durchzogen wird. Die Hauptmasse der Vegetation wird hier durch den Sägetang, 1?ueus serratns, gebildet, der in malerischen dunkelbraunen Büscheln die Felsen bekleidet, um nach den tiefer gelegenen Riffen allmählich von den bis vier Meter langen, hellbraunen, prächtig gewellten Bändern des Zuckertanges (Imminaria saeellarina) oder den riesigen, palmenähnlichen Wedeln des Fingerlanges (I.. äigitaka. und O. llvperllorea) abgelöst zu werden. In den tieferen, auch bei Ebbe mit Wasser gefüllten Rillen gewahren wir das zierlich geteilte, dunkelbraune Laub der Meereiche (lllaliär^s), das besonders in: Frühsommer von den sreudiggrünen Büscheln einer Cladophora reizend geschmückt wird. Der oben erwähnte Sägetang wird nebst den Laminarien und andern Fucaceen an der norwegischen, schottischen und französischen Küste zu Asche (Kelp) verbrannt, die dann zur Jodgewinnung weiter verarbeitet wird. Auch auf Helgoland bestand noch in den fünfziger Jahren eine solche Kelpbrennerei, als aber später das chilenische Jod dem in Europa gewonnenen mehr und mehr Konkurrenz machte, mußten viele der kleineren Fabriken ihren Betrieb einstellen, und die einzige Tangindustrie, wenn man es so nennen soll, die wir gegenwärtig in Deutschland haben, beschränkt sich auf die Herstellung von Wundstiften, den sogenannten „Fkipites Quininariutz" der Pharmakopöe, die aus den getrockneten und geschälten Stämmen einer bei Helgoland häufigen Laminaria-Art, der O. ll^perdorea, gedrechselt werden, und die, vermöge ihrer großen Quellungsfähigkeit, zur Erweiterung von Wundkanälen und ähnlichen Zwecken verwendet werden. Imminaria Iivperlioroa gehört übrigens zu den wenigen ausdauernden Algen, die jährlich ihr Laub wechseln, und es liegt ein eigner Reiz darin, im Frühling, bei stillem Wetter, im Boote über diese submarinen Wälder dahinzugleiten, wenn das alte Laub abgeworfen ist und die gigantischen fächer- oder bandförmigen Laubmassen der Laminarien im frischesten, bei auffallendem Sonnenlichte blau opalisierendem Gelbbraun erglänzen. Sind es doch, abgesehen von den oft abenteuerlichen Formen, gerade die Farben der Tange, die jeden überraschen, der zum erstenmal an der Meeresküste weilt, und nicht selten begegnet man einem ungläubigen Lächeln, wenn beim Vorzeigen getrockneter Algen das satte Karminrot und das leuchtende Braun als die natürliche Färbung der Meeresalgen erklärt wird.
Sehr erhöht wird der Reiz dieser unterseeischen Wiesen, Gebüsche und Wälder durch die mannigfaltigen Tierformen,
von denen sie belebt werden. Hier flüchtet sich in behender und durch die seitliche Fortbewegung komischer Grandezza ein Taschenkrebs unter ein Tangbüschel, dort gleitet ein Seestichling, besorgt und zur Verteidigung entschlossen, um das aus dem Laube der Meereiche gebaute Nest; an einer andern Stelle sehen wir den von den Eingeborenen Happot genannten Seehasen (OMopksrus lumxus) träge am Boden liegen, einen durch seine ungestalten Formen und großen Dimensionen auffälligen Fisch, der sich mit einem saugscheibenförmigen, am Bauche sitzenden Organe am Boden festsaugt und von den Fischern vermittelst einer kurzen, mit eisernem Haken versehenen Harpune heraufgeholt wird. Er gilt als einer der trägsten Fische, dem es so sehr an Intelligenz fehlt, daß er nicht einmal sein eignes Element kennt und bei Ebbe oft aufs Trockene gerät. Zur Zeit der Paarung ist das Männchen rot, das Weibchen blau gefärbt, aber nur das Fleisch des Männchens gilt bei der Bevölkerung als Leckerbissen. Schieben wir auf einigen Felsplatten den Seetang beiseite, so werden wir hie und da durch den Anblick prachtvoller, rot- und blaustrahliger Rosetten überrascht, den Tentakelkränzen der meist in Vertiefungen des Gesteins sitzenden Seerose (A.etinia arassi- eornis). Eine Verwandte derselben, die Lucernarie, wohnt auf den braunen Zweigen der Meereiche, die sie mit ihrem Fuß umklammert, während die in vier von Tentakelknöpfchen gekrönten Zipfel ausgezogenen Glocken nach unten herabhängen. Zuweilen glückt es uns wohl auch, eine der schönen Nacktschnecken (vorm) zu erbeuten.
Sind unsre Augen vom Spähen ermüdet, so lassen wir den Blick über die grotesken Felsbildungen gleiten, an denen die zerklüftete Westseite so reich ist. In der Nähe der Nordspitze fällt uns eine etwas vorspringende Felswand durch ihre weiße Färbung auf, und näher kommend sehen wir dort Tausende von Vögeln auf den galerieförmigen Felsgesimsen dicht aneinandergedrängt sitzen oder unter betäubendem Geschrei bald sich in ganzen Scharen von der Klippe ins Meer stürzen bald wieder zu ihr emporflattern. Es sind Lummen, eine nordische, zu den Alken gehörige Vogelart, die hier einen ihrer südlichsten, in jedem Frühjahr wieder aufs neue von ihnen bevölkerten Brutplätze haben. Auf dem flachen Lande sehr unbehilflich, ist die Lumme ein ziemlich gewandter Flieger und ein ausgezeichneter Schwimmer und Taucher; wer daher Gelegenheit hat, das Berliner Aquarium zu besuchen, der versäume nicht, die Schwimmkünste der dortigen Helgoländer Lummen zu bewundern. Die kurzen Flügel wie große Schwimmflossen benutzend, schießen, rudern und flattern sie pfeilschnell durch das Wasser, während ihr ganzer Körper infolge der anhängenden Luft in goldenem Glanze schimmert. Nur kurz mag noch erwähnt sein, daß Helgoland durch seine Vogelwelt einen Weltruf genießt, da zur Zeit des Vogelzuges im Frühjahr und Herbst alle Arten von Vögeln, vom Fluge erschöpft oder mit widrigen Winden kämpfend, den einsamen Fels als Ruhepunkt zu benutzen pflegen. Zahllose Vogelarten, darunter auch einige sibirische und nordamerikanische Gäste, wurden hier beobachtet, und dem berühmten Ornithologen Gätke, dessen Vogelsammlung, wie oben erwähnt, jetzt im Nordseemuseum aufgestellt ist, gelang es auch, einige Exemplare der äußerst seltenen Rosenmöwe (Oarus Rossü) zu erbeuten, die im äußersten Norden brütet, und von der größere Scharen Nansen zum erstenmal bei seiner Nordpolfahrt auf 86 Grad nördlicher Breite beobachtet hat.
Wer an warmen Augustabenden zur Zeit des Neumondes bei Helgoland eine Fahrt im Ruderboot unternimmt, wird auch die oft beschriebene Erscheinung des Meerleuchtens hier ganz besonders schön beobachten können. Ein kleines, infusorienartiges Tier, idloekiluLa Miliaris, das, mit dem feinen Netz herausgefischt, wie feinkörniger Sago an der