Theodor Fontane.
immer rascherem Fluge ging es, erst an Brandenburg und seiner Sankt Godehards-Kirche, dann an Magdeburg und seinem Dome vorüber. In Oschers- leben schloß sich der Leipziger Zug an und mit etwas geringerer Geschwindigkeit, weil sich die Steigung fühlbar zu machen begann, fuhr man jetzt auf Quedlinburg zu, hinter dessen Abteikirche der Brocken bereits aufragte. Das Land, das man passirte, wurde mehr und mehr ein Gartenland, und wie sonst Kornstreifen sich über den Ackergrund ziehen, zogen sich hier Blumenbeete durch die weite Gemarkung.
„Sieh' Cscile", sagte der Oberst. „Ein Teppich legt sich Dir zu Füßen und der Harz empfängt Dich n In ?rino6886. Was willst Du mehr?"
Und sie richtete sich auf und lächelte.
Wenige Minuten später hielt der Zug in Thale, wo sofort ein Schwarm von Kutschern und Hausdienern aller Art die Coupss umdrängte: „Hubertusbad! Waldkater! Zehnpfund!"
„Zehnpfund", wiederholte der Oberst und einem dienstfertig zuspringenden Kommissionär den Gepäckschein einhändigend, bot er Cscile den Arm und schritt ans das unmittelbar am Bahnhof gelegene Hotel zu.
Zweites Kapitel.
Der große Balkon von Hotel Zehnpfund war am andern Morgen kaum zur Hälfte besetzt und nur ein Dutzend Personen etwa sah ans das vor ihnen ausgebreitete Landschaftsbild, das durch die Feueressen und Rauchsäulen einer benachbarten Fabrik nicht allzu viel an seinem Reize verlor. Demi die Brise, die ging, kam von der Ebene her und trieb den dicken Qualm am Gebirge hin. In die Stille, die herrschte, mischte sich, außer dem Rauschen der Bode, nur noch ein fernes Stampfen und Klappern und ganz in der Nähe das Zwitschern einiger Schwalben, die, im Zickzack vorüberschießend, auf eine vor dem Balkon gelegene Parkwiese zuflogen. Diese war das Schönste der Scenerie, schöner fast als die Bergwand sammt ihren phantastischen Zacken, und wenn schon das saftige Grün der Wiese das Auge labte, so mehr noch die Menge der Bäume, die gruppenweis, von ersichtlich geschickter Hand in dies Grün hineingestellt waren. Ahorn und Platanen wechselten a,b und dazwischen drängten sich allerlei Ziersträucher zusammen, aus denen hervor es buntfarbig blühte: Tulpenbaum und Goldregen, und Schneeball und Akazie.
Der Anblick mußte Jeden entzücken, und so hing denn auch das Auge der schönen Frau, die wir am Tage vorher auf ihrer Reise begleiteten, an dem ihr zu Füßen liegenden Bilde, freilich im Gegensätze zu dem Obersten, ihrem Gemahl, mit nur geteiltem Interesse.
Der Tisch, an dem Beide das Frühstück nahmen, stand im Schutz einer den Balkon nach dem Gebirge hin abschließenden Glaswand und fiel nicht nur durch ein besonders elegantes Service, sondern mehr noch durch ein großes und prächtiges Fliederbouquet auf, das man, vielleicht in Huldigung gegen die durch Rang und Erscheinung gleich distinguirte Dame, gerad' auf diesen Tisch gestellt hatte. Cscile selbst brach einige von den Blüthenzweigen ab und sah dann abwechselnd auf Berg und Wiese, ganz einer träumerischen Stimmung hingegeben, in der sie sich augenscheinlich ungern gestört fühlte, wenn der Oberst, in wohlmeinendem Erklärungseifer, den Cicerone machte.
„Vieles", hob er an, „hat sich speciell an dieser Stelle geändert seit ich in meinen Fähnvichstagen hier war. Aber ich finde mich doch noch zurecht. Das Plateau dort oben, mit dem großen würfelförmigem Gasthause, muß der Hexentanzplatz sein. Ich höre, man kann jetzt bequem hinauf fahren."
„O gewiß kann man", sagte sie, während sie, sichtlich gleichgiltig gegen diese Mittheilung, mit ihrem Auge den Balkon überflog, auf dem die Jalousie-Ringe klapperten und die roth und weiß gemusterten Tischdecken im Winde wehten. Zugleich zupfte sie an einer ihrer Schleifen und wandte den Kopf so, daß man, von der andern Seite des Balkons her, ihr schönes Profil sehen mußte.
„Hexentanzplatz", nahm sie nach einer Weile das Gespräch wieder auf. „Wahrscheinlich ein Felsen mit einer Sage, nicht wahr? Wir hatten auch in Schlesien so viele; sie sind alle so kindisch. Immer Prinzessinnen und Riesenspielzeug. Ich dachte, der Felsen, den man hier sähe, hieße die Roßtrappe."
„Gewiß, Cscile. Das ist der andre; gleich hiev der nächste."
„Müssen wir hinauf?"
„Nein, wir müssen nicht. Aber ich dachte, Du würdest es wünschen. Der Blick ist schön und man sieht meilenweit in die Ferne."
„Bis Berlin? Aber nein, darin irr' ich, das ist nicht möglich, Berlin muß weiter sein, fünfzehn Meilen oder noch mehr. Ah, sahst Du die zwei Schwalben? Es war als haschten sie sich und spielten miteinander. Vielleicht sind es Geschwister, oder vielleicht ein Pärchen."
„Oder beides. Die Schwalben nehmen es nicht so genau. Sie sind nicht so diffizil in diesen Dingen."
Es lag etwas Bittres in dem Ton. Aber diese Bitterkeit schien sich nicht gegen die Dame zu richten, denn ihr Auge blieb ruhig und keine Röthe stieg in ihr aus. Sie zog nur ein Chenille-Tuch, das sie bis zur Hüfte hatte fallen lassen, wieder in die Höhe und sagte: „Mich fröstelt, Pierre."
„Weil Du nicht Bewegung genug hast."
„Und weil ich schlecht geschlafen habe. Komm,