Novelle von Tlzrodor Fontane.
Erstes Kapitel.
Zweiter..." „Letzter Wagen, mein Herr." Der ältere. Herr, ein starker Fünfziger, an den sich dieser Bescheid gerichtet hatte, reichte seiner Dame den Arm und ging in langsamem Tempo, wie man eine Reconvalescentin führt, bis an das Ende des Zuges. Richtig „Nach
Thale" stand hier auf einer ansgehängten Tafel.
Es war einer von den neuen Waggons mit Treppenaufgang und der mit besonderer Adrettheit gekleidete Herr: blauer Ueberrock, Helles Beinkleid und Koralleutuchnadel, wandte sich, als er das Waggon- Treppchen hinauf war, wieder um, um seiner Dame beim Einsteigen behülflich zu sein. Die Comparti- ments waren noch leer, und so hatte man denn die Wahl, aber freilich auch die Qual, und mehr als eine Minute verging, ehe die schlanke, schwarzgekleidete Dame sich schlüssig gemacht und einen ihr zusagenden Platz gesunden hatte. Von ähnlicher Unruhe war der sie begleitende Herr, dessen Auf- und Abschreiten jedoch, allem Anscheine nach, mit der Platzfrage nichts zu schaffen hatte, wenigstens sah er, das Fenster mehrfach öffnend und schließend, immer wieder den Perron hinunter,«wie wenn er Jemand erwarte. Das war denn auch der Fall, und er beruhigte sich erst, als ein in eine Halb-Livree gekleideter Diener ihm die Fahrbillets sammt Gell. 2.
päckschein eingehändigt und sich bei dem „Herrn Obersten" (ein Wort, das er beständig wiederholte) wegen seines langen Ausbleibens entschuldigt hatte. „Schon gut", sagte der so beharrlich als »Herr Oberst« Angeredete. „Schon gut. Unsere Adresse weißt Du. Halte mir die Pferde in Stand; jeden Tag eine Stunde, nicht mehr. Aber nimm Dich aus dem Asphalt in Acht." Dann kam der Schaffner, um unter respektvoller Verbeugung gegen den Fahrgast, den er sofort als einen alten Militair erkannte, die Billets zu conpiren.
Und nun setzte sich der Zug in Bewegung.
„Gott sei Dank, Cecile", sagte der Oberst, dessen scharfer und beinah stechender Blick durch einen kleinen Fehler am linken Auge noch gesteigert wurde. „Gott sei Dank, wir sind allein."
„Um es hoffentlich zu bleiben."
Damit brach das Gespräch wieder ab.
Es hatte die Nacht vorher geregnet, und der am Fluß hin gelegene Stadttheil, den der Zug eben passirte, lag in einem dünnen Morgennebel, gerade dünn genug, um unseren Reisenden einen Einblick in die Rückfronten der Häuser Und ihre meist offen stehenden Schlafstubenfenster zu gönnen. Merkwürdige Dinge wurden da sichtbar, am merkwürdigsten aber waren die hier und da zu Füßen der hohen Bahn-
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