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Löcile.
ich will mich Niederlagen, und eine halbe Stunde ruhn."
Und bei diesen Worten erhob sie sich und ging unter leichtem Gruß, den die Zunächstsitzenden ebenso leicht erwiederten, ans das Nebenzimmer und den Corridor zu. Der Oberst solgte. Nur einer der Gäste, der, über seine Zeitung fort, von der andern Seite des Balkon's her das distinguirte Paar schon seit lange beobachtet hatte, stand auf, legte die Zeitung aus der Hand und grüßte mit besondrer Devotion, was seines Eindrucks auf die schöne Frau nicht verfehlte. Wie belebt und erheitert nahm diese plötzlich ihres Begleiters Arm und sagte: „Du hast Recht, Pierre. Lust wird mir besser sein, als Ruhe. Mich fröstelt nur, weil ich keine Bewegung habe. Laß uns in den Park gehn. Wir wollen sehn, ob wir die Stelle finden, wo die Schwalben nisten. Ich habe mir den Baum gemerkt. "
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Der junge Mann, der sich von seinem Platz erhoben und mit so besondrer Artigkeit gegrüßt hatte, rief jetzt den Kellner heran und sagte: „Kennen Sie die Herrschaften?"
„Ja, Herr von Gordon."
„Nun?"
„Oberst von St. Arnaud und Fran. Sie kamen gestern mit dem Mittagszug und nahmen ein Diner ä xark? Die Dame scheint krank."
„Und werden einige Tage bleiben?"
„Ich vermuthe."
Der Kellner trat wieder zurück, und der als Herr von Gordon Angeredete, wiederholte jetzt zwei, dreimal den Namen, den er eben gehört hatte. „St. Arnaud . . St. Arnaud!"
Endlich schien er es gefunden zu haben.
„Ja, jetzt entsinne ich mich. In St. Denis war Anno 70 viel von ihm die Rede. Kugel durch den Hals, zwischen Carotis und Luftröhre. Wahrer Wunderschuß. Und wunderbar auch die Heilung; in sechs Wochen wiederhergestellt. Witzleben hat mir ausführlich davon erzählt. Kein Zweifel, das ist er. Er war damals ältester Hauptmann in einem der Garderegimenter, bei Franz oder den »Maikäfern«, und wurde noch in Frankreich Major. Ich muß ihn im «Cers« gesehen haben. Aber warum außer Dienst?"
Der dies Selbstgespräch Führende nahm, als er sich mit Hülse seines Gedächtnisses, auf diese Weise leidlich orientirt hatte, die Zeitung wieder zur Hand und überflog den Leitartikel, der die letzten Fortschritte der Russen in Turkmenien behandelte, zugleich aber, unter allerhand Namensverwechselungen, auch über Indien und Persien orakelte. „Der Herr Verfasser weiß da so gut Bescheid, wie ich auf dem
Mond." Und das Blatt verdrießlich wieder bei Seite schiebend, sah er lieber auf das Gebirge hin, das er, seit länger als einer Woche, an jedem neuen Morgen mit immer neuer Freude betrachtete. Zuletzt ruhte sein Blick aus dem Vordergrund und verfolgte hier die Kieswege, die sich, in abwechselnd breiten und schmalen Schlängellinien, durch die Parkwiese hinzogen. Eins der Bosquets, das dem Sonnenbrand am meisten ausgesetzt war, zeigte viel Gelb und er sah eben scharf hin, um sich zu vergewissern, ob es gelbe Blüthen oder nur von der Sonne verbrannte Blätter seien, als er aus eben diesem Bosquet die Gestalten des St. Arnaud'schen Paares hervortreten sah. Sie bogen in den Weg ein, der, jenseits der Parkwiese, parallel mit den: Hotel lief, so daß man, vom Balkon her, Beide genau beobachten konnte. Die schöne Frau schien sich unter dem Einflüsse der Luft rasch gekräftigt zu haben und ging ansrecht und elastisch, trotzdem sich unschwer erkennen ließ, daß ihr das Gehen immer noch Müh' und Anstrengung verursachte.
„Das ist Baden-Baden", sagte der vom Balkon aus sie Beobachtende. „Baden-Baden oder Brighton oder Biarritz, aber nicht Harz und Hotel Zehnpfund." Und so vor sich hinsprechend, folgte sein Auge dem sich bald nähernden bald entfernenden Paare mit immer gesteigertem Interesse, während er zugleich in seinen Erinnerungen weiter forschte. „St. Arnaud. Anno 70 war er noch unverheirathet; sie wäre damals auch kaum achtzehn gewesen." Und unter solchem Rechnen und Erwägen, erging er sich in immer neuen Muthmaßungen darüber, welche Bewandtniß es mit dieser etwas sonderbaren und überraschenden Ehe haben möge. „Dahinter steckt ein Roman. Er ist über 20 Jahre älter als sie. Nun das ginge schließlich, das bedeutet unter Umständen nicht viel. Aber den Abschied genommen, ein so brillanter und bewährter Offizier! Man sieht ihm noch jetzt den Schneit an; Garde-Oberst 60rQni6-i1-lücck, jeder Zoll. Und doch außer Dienst. Sollte vielleicht.. Aber nein, sie kokettirt nicht und auch sein Benehmen gegen sie hält das richtige Maaß. Er ist artig und verbindlich, aber nicht zu gesucht artig, als ob 'was zu cachiren sei. Nun, ich will es schon erfahren. Uebrigens wirkt sie katholisch, und wenn sie nicht aus Brüssel ist, ist sie wenigstens aus Aachen. Nein, auch das nicht. Aber jetzt Hab' ich es: Polin oder wenigstens polnisches Halbblut. Und in einem festen Kloster erzogen, Laers eosur oder Zum guten Hirten."
Drittes Kapitel.
Herr von Gordon war auf bestem Wege, seine Muthmaßungen noch weiter auszuspinnen, als er sich durch ein von rückwärts her laut werdendes,