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Cöcile.
sich alle diejenigen nn, die der Zug außerdem noch gebracht hatte, lauter Durchschnittsfiguren, unter denen nur die direkt Abschließenden einiger Aufmerksamkeit Werth waren.
Es waren ihrer Zwei, beide lebhaft plaudernd, aber doch nur wie Personen, die sich eben erst kennen gelernt haben. Der zur Linken Gehende, schwarz gekleidet in Stehkragenrock, dabei von freundlichen Zügen, war ein alter Emeritus, den Gordon schon von verschiedenen Ausflügen und namentlich von der Table d'hote her kannte, während der Andere durch eine große Häßlichkeit und beinah mehr noch durch die Sonderbarkeit seiner Kleidung auffiel. Er trug nämlich ziemlich defekte Gamaschen und eine Manchesterweste, deren Schöße länger waren, als seine Joppe, dazu Strippenhaar, Klapphut und Hornbrille.' Worauf deutete das alles hin? Seinem unteren Menschen nach, Hütte man ihn ohne Weiteres für einen Trapper, seinem oberen nach ebenso zweifellos für einen Rabulisten und Winkeladvokaten halten müssen, wenn nicht sein letztes und vorzüglichstes Ausrüstungsstück: eine Botanisirtrommel gewesen wäre, ja sogar eine Botanisirtrommel am gestickten Bande. Diese beständig hin- und herschiebend, schritt er an der Seite des geistlichen Herrn, der übrigens bereits Miene zum Abschwenken machte, mit großen Schritten und unter beständigen Gestikulationen ans die Parkwiese zu.
„Botaniker," sagte Gordon zu dem Wirthe von Hotel Zehnpfund, der sich ihm mittlerweile gesellt hatte. „Sieht er nicht aus wie Knecht Ruprecht, der den Frühling in seinen Sack stecken will?"
Aber der joviale Hotelier, der, wie die Meisten seines Standes, ein Menschenkenner war, wollte von der Gordon'schen Diagnose nichts wissen und sagte: „Nein, Herr von Gordon, die grüne Trommel, die kenn' ich; in nenn Fällen von zehn ist sie Vorrathskammer, am gestickten Bande aber ist sie's immer. Nichts von Botanik. Ich halte den Herrn für einen Urnenbnddler."
„Archäologe?"
„So d'rum herum."
Und als Beide so sprachen, verschwand der Gegenstand ihrer Unterhaltung jenseits der Parkwiese, nachdem er sich schon vorher von dem im Hotel wohnenden Emeritus verabschiedet hatte.
Viertes Kapitel.
Zehn Minuten vor Eins läutete die Tischglocke durch alle Corridore hin und wiewohl die Haute- Saison noch nicht begonnen hatte, versammelte sich doch eine stattliche Zahl von Güsten im großen Speisesaal. Auch die beiden Berliner in Graubraun fehlten nicht und hatten sofort am untern Ende der Tafel eine Corona theils bewundernder,
theils lächelnder Zuhörer um sich her, zu welchen Letztren auch der alte Herr im geistlichen Rock und der Langhaarige mit der Hornbrille zählte. Das -— im Gegensätze zu den unterwegs von Cscile geäußerten Wünschen — heut ebenfalls erschienene St. Arnaud'sche Paar, war vom Oberkellner gebeten worden, die Mittelplätze der Tafel einzunehmen, gegenüber von Herrn von Gordon, der im selhen Augenblicke, wo die Herrschaften Platz genommen hatten, auch schon die mit allerhand rothem Blattwerk zwischen ihm und Cocile stehende Vase zu verwünschen begann. Selbstverständlich ließ er sich durch dies Hinderniß nicht abhalten, sich vorzustellen, woraus der Oberst, vielleicht weil er einen adeligen Namen gehört hatte, mit bemerkenswerther Artigkeit erwiderte: „v. St. Arnaud, — meine
Frau." Es schien aber bei diesem Namensaustausch bleiben zu sollen, denn Minuten vergingen, ohne daß ein weiterer Annäherungsversuch von hüben oder drüben gemacht worden wäre. Gordon, trotzdem ihm die Tage preußischer Diseiplin um mehrere Jahre zurücklagen, glaubte doch mit Rücksicht auf den Rang des Obersten, diesem das erste Wort überlassen zu müssen. Auch Cscile schwieg und richtete nur dann und wann ein Wort an ihren Gemahl, während sie mechanisch an einem Türkisringe drehte.
Seit dem IluAoüt lln en ooguillo, von dem sie zwei Bröckchen gekostet und zwei andere aus der Gabelspitze gelassen hatte, hatte sie bei jedem neu präsentirten Gange gedankt und lehnte sich jetzt mit verschränkten Armen in den Stuhl zurück, nur daun und wann nach der Saaluhr blickend, auf deren Zifferblatt der Zeiger langsam vorrückte. Gordon, auf bloße Beobachtung angewiesen, begann allmählich die Vase zu segnen, die, so hinderlich sie war, ihm wenigstens gestattete, seine Studien einigermaßen unauffällig, wenn auch freilich.nicht unbemerkt, fortsetzen zu können. Er gestand sich, selten eine schönere Frau gesehen zu haben, kaum in England, kaum in den »8tut68«. Ihr Profil war von seltener Reinheit und das Fehlen jeder Spur von Farbe gab ihrem Kopfe, darin Apathie der vorherrschende Zug war, etwas Marmornes. Aber dieser Ausdruck von Apathie war nicht Folge besonderer Niedergeschlagenheit, noch weniger von schlechter Laune, denn ihre Züge, wie Gordon nicht entging, begannen sich sofort zu beleben, als plötzlich von der unteren Tafel her dem Kellner in gutem Berlinisch zugernfen wurde: „Kalt stellen also. Aber nicht zu lange. Denn der Knall bleibt immer die Hauptsache" — bei welcher These der, der sie aufstellte, mit seinem Zeigefinger so rasch und geschickt unter den Mundwinkel und mit solcher Energie wieder herausfuhr, daß es einen lauten Puff gab.
Alles lachte. Selbst der Oberst schien froh, aus der Tafel-Langweile heraus zu sein und sagte jetzt,