Theodor Fontane.
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während er sich über den Tisch hin vorbeugte: „Nicht wahr, Herr von Gordon, Sie sind ein Sohn des Generals?"
„Nein, mein Herr Oberst, auch kaum verwandt, denn ich bin eigentlich ein Leslie. Der Name Gor- don ist erst durch Adoption in unsere Familie gekommen."
„Und stehen in welchem Regiment?"
„In keinem, Herr Oberst. Ich habe den Dienst guittirt."
„Ah," sagte der Oberst und eine Pause folgte, die zum zweiten Male verhängnißvoll werden zu wollen schien. Aber die Gefahr ging glücklich vorüber, und St. Armand, der sonst wenig sprach, fuhr mit einem für seinen Charakter überraschend artigen Entgegenkommen fort: „Und Sie sind schon längere Zeit hier, Herr von Gordon? Und vielleicht zur Kur?"
„Seit einer Woche, mein Herr Oberst. Aber nicht eigentlich zur Kur. Ich will ausrnhen und eine gute Luft athmen und nebenher auch Plätze Wiedersehen, die mir aus meiner Kindheit her theuer sind. Ich war, eh' ich in die Armee trat, oft im Harz und darf sagen, daß ich ihn kenne."
„Da bitt' ich, daß wir uns vorkommenden Falls an Ihren guten Rath und Ihre Hülfe wenden dürfen. Wir gedenken nämlich, sobald es das Befinden meiner Frau zuläßt, immer höher in die Berge hinaufzugehen und etwa mit Andreasberg abzuschließen. Es soll dort die beste Luft für Nervenkranke sein.
In diesem Augenblicke präsentirte der Kellner ! ein Panacha, von dessen Vanillenseite Frau von > St. Armand nahm und kostete. „Lieber Pierre," sagte sie, „Du bittest Herrn von Gordon um seinen Beistand und verscheuchst ihn im selben Augenblick aus unserer Nähe. Denn was ist lästiger, als Rücksichten ans eine kranke Frau zu nehmen? Aber erschrecken Sie nicht, Herr von Gordon, nur werden ihre Güte nicht mißbrauchen, wenigstens ich nicht. Sie sind zweifellos ein Bergsteiger, also enragirt für große Partien, während ich vorhabe, mir, noch auf Wochen hin, an unserem Balkon und der Parkwiese genügen zu lassen."
Das Gespräch setzte sich fort und ward erst unterbrochen, als der an der unteren Tafel inzwischen erschienene Champagner mit allem Ceremoniell geöffnet wurde. Der Pfropfen flog in die Höh' und während der Jüngere die Gläser füllte, musterte der Aeltere die Marke, selbstverständlich nur um Gelegenheit zum Vortrage einiger Champagner- Anekdoten zu finden, die sämmtlich, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, aus „Wirth- und Hotel-Entlarvung auf dem Pfropfenwege" hinausliefen, — alles übrigens in bester Laune, die sich
nicht blos seiner nächsten Umgebung, sondern so ziemlich der ganzen Tafel mittheilte.
Zehn Minuten darnach erhob man sich und verließ in Gruppen den Eßsaal. Auch die Berliner gingen den Corridor hinunter, machten aber an einem Fenstertischcheu Halt, auf dem das Fremdenbuch aufgeschlagen lag, und begannen darin zu blättern.
„Ah, hier. Das is er: Gordon-Leslie, Civil- Jngenieur."
„Gordon-Leslie!" wiederholte der Andere. „Das ist ja der reine Wallenstein's Tod!"
„Wahrhaftig, fehlt blos noch Buttler."
„Na, höre, der alte Oberst. ."
„Meinst Du?"
„Freilich, mein' ich. Sieh Dir'n 'mal an. Wenn der erst anfängt . ."
„Höre, das wär' famos; da könnt' man am Ende noch was erleben."
Und damit gingen sie weiter und auf ihr Zimmer zu, „um sich hier," wie sich der Aeltere ansdrückte, „inwendig ein bischen zu beseh'n."
Fünftes Kapitel.
Gleich nach Aufhebung der Tafel war zwischen den St. Arnaud's und ihrem neuen Bekannten und Tisch-vl8-n-vi8 ein Nachmittags-Spaziergang auf die Roßtrappe hinauf verabredet worden und um 4 Uhr traf man sich unter der großen Park-Platane, wo Gordon sofort auch, aber doch erst nachdem er seine Dispositionen gehorsamst unterbreitet hatte, die Führung übernahm. Die gnädige Frau, so waren seine Worte gewesen, möge nicht erschrecken, wenn er, statt des sehr steilen nächsten Weges, einen Umweg Vorschläge, der sich nicht blos durch das was er habe (darunter die schönsten Durchblicke), sondern viel, viel mehr noch durch das was er nicht habe, höchst vorteilhaft auszeichne. Die sonst üblichen Begleitstücke harzischer Promenadenwege : Hütten, Kinder und aufgehängte Wäsche kämen nämlich in Wegfall.
Cacile gab in guter Laune die Versicherung, lange genug verheirathet zu sein, um auch in kleinen Dingen Gehorsam und Unterordnung zu kennen; am wenigsten aber werde sie sich gegen Herrn von Gordon auflehnen, der den Eindruck mache, wie zum Führer und Pfadfinder geboren zu sein.
„Bedanken Sie sich", lachte der Oberst. „Renii- niscenz aus Lederstrumpf."
Gordon war nicht angenehm von einem Scherze berührt, dessen Spott sich ebenso gegen ihu wie gegen Cacile richten konnte, verwand den Eindruck aber schnell und nahm das Shawltnch, das die schöne Frau bis dahin über den -Arm getragen