Löcile.
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St. Arnaud lachte. „Meine liebe Cocile, Du gehst einer grausamen Enttäuschung entgegen. Er schied aus der Armee. ."
„Nun?"
„Einfach Schulden halber. In diesem Punkte beginnt seine Laufbahn als obovalior orrnnt so trivial wie möglich. Er stand erst bei den Pionieren in Magdeburg, dann bei dem Eisenbahn-Bataillon unter Golz, einer Truppe, die sonst viel zu klug und zu gescheidt ist, um sich durch Schuldenmachen ans- zuzeichnen. Aber jede Regel hat ihre Ausnahme. Kurzum, er konnte sich nicht halten und übersiedelte, wenn sich in solcher Lage von Uebersiedlung sprechen läßt, nach England, woselbst er seine wissenschaftlichen Kenntnisse praktisch zu verwerthen hoffte. Dies gelang ihm denn auch und er ging Mitte der siebziger Jahre nach Suez, um hier, im Auftrag einer großen englischen Gesellschaft, einen Draht durch das rothe Meer und den persischen Golf zu legen. Du wirst nicht vrientirt sein, aber ich zeige Dir's auf der Karte."
„Nur weiter."
„Etwas später trat er in persischen, und nach Beendigung einer unter seiner Oberleitung hergestellten Telegraphenverbindnng zwischen den zwei Hauptstädten des Landes, in russischen Dienst. Es war gerade die Zeit, als Skobeleff, dessen Du Dich von Warschau her erinnern wirst, vor Samarkand seine Triumphe feierte. Später, als der Kriegsschauplatz wechselte, war er mit demselben General vor Plewna. Der wachsende Haß der Russen aber gegen alles Deutsche hat ihm schließlich den Dienst verleidet; er nahm den Abschied und hat das Glück gehabt, alte Beziehungen wieder anknüpfen zu können. Er ist in diesem Augenblicke Bevollmächtigter derselben englischere Firma, in deren Dienst er seine Laufbahn begann und gerade jetzt mit eurer geplanten neuen Kabellegung in der Nordsee beschäftigt. Hat aber den lebhaften Wunsch in preußischen Dienst zurückzutreten, was ihm, bei Protektion an hoher Stelle, deren er sich erfreut, ganz zweifellos gelingen wird."
„Und das ist alles?"
„Aber Cocile. ."
„Du hast Recht," lachte sie. „Buntes Leben genug. Und doch find' ich wirklich, daß einen Draht oder eirr Kabel an einer mir unbekannten Küste zu legen (und welche Küste wäre mir nicht unbekannt) schließlich ebenso trivial ist wie Schnldenmachen."
„Da bin ich doch neugierig zu hören, was Du geneigt sein möchtest, nicht trivial zu finden."
„Nun beispielsweise den Regensteiner. Der ist doch um vieles romantischer. Und wenn es der Regensteiner nicht sein kann, nun denn, Abenteuer, Tigerjagd, Wüste, Verirrungen . ."
„Geographische oder moralische?"
„Beide."
„Nun, wer weiß, was er davon noch in Petto hat. Er konnte mich doch nicht gleich in seine letzten Intimitäten einweihen. Aber sieh nur. ."
Und ein Windstoß, der eben in das große, mit Centisolien dicht besetzte Rondel gefahren war, trieb eine Wolke von Rosenblättern auf Cöcile zu.
„Sieh nur," wiederholte der Oberst, und im selben Augenblicke sanken die herangewehten Blätter, denen das Fliedergebüsch den Durchgang wehrte, zu Füßen der schönen Frau nieder.
„Ah, wie schön," sagte Cacile. „Das ist mir eine gute Vorbedeutung."
Und sie bückte sich nach einem der Blätter, um es auf ihre Lippen zu legen. Dann aber erhob sie sich und schritt, in guter Lanne St. Arnaud's Arm nehmend, auf das Hotel zu.
Elftes Kapitel.
Es war noch eine gute Weile bis Mittag. St. Arnaud, der die Karten-Passion hatte, beabsichtigte, sich in eine Harz-Karte zu vertiefen, Ceeile dagegen wollte ruhen und zog, als sie sich ans die Chaise longne gestreckt hatte, den über ihre Füße gebreiteten Shawl höher hinaus und sagte: „Wecke mich, Pierre. Nicht länger als zehn Minuten." Und gleich danach schlief sie, die linke Hand unter dem schönen Kopf, während ihre Rechte noch das Tuch hielt.
Zwei Stunden später erschien man an der Table d'hote, wo der die Neigungen und Wünsche seiner Gäste beständig scharf im Auge habende Wirth eine Neu- Placirung hatte stattfinden lassen. Die St. Ar- nauds saßen an alter Stelle, Gordon aber, statt gegenüber von Emile, war links neben diese gesetzt worden, während der Emeritus den erledigten vis- ä-vi.8-Platz und der in seiner Erscheinung etwas aufgebesserte Privat-Gelehrte (denn das war er) den Platz neben den: Geistlichen erhalten hatte. Rosa fehlte. Gordon erschien erst als man die Suppe schon herum gab und als Soldat ein wenig verlegen über die Verspätung, noch verlegener aber über das Neu-Arrangement, das er vorfand, wandt' er sich mit der Bemerkung an Cöcile, „daß er nicht recht wisse, wodurch er sich, der er entschieden mehr ein Sodawasser- als ein Champagner-Gast sei, diese wirthliche Bevorzugung verdient habe" — seine Bemerkung, bei der der alte Emeritus jovial und lebe- männisch lächelte, während der Privatgelehrte m it einem schon den Ernst der Historie streifenden Interesse seine Hornbrille höher schob und mehr forscherhaft-wissenschaftlich als landesüblich-artig zu Gordon hinüberstarrte. Dieser selbst indeß war durch die schöne Frau viel zu sehr in Anspruch genommen, um für das Lächeln des Emeritus, oder gar für den Forscherblick des Askanischen Spezialisten irgendwie Sinn
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