Heft 
(1.1.2019) 02
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Theodor Fontane. TLcile.

und Auge zu haben und gab der Erregung, in der­er sich nach wie vor befand, durch allerlei rasche Fragen Ausdruck, die sich aus die kleinen Vorkomm­nisse der Qnedlinburger Partie bezogen, auf die Crypt, den Roland und das Klopstock-Haus,das (und Cöcile lachte jetzt mit) nur leider zu grün gewesen sei." Noch andere Fragen drängten sich, und nur der Aebtissinnen, und speciell des Bildes der schönen Gräfin Aurora, wurde von Seiten Gordons mit keinem Worte gedacht.

Aber ich schwatze so viel," unterbrach er sich plötzlich selbst,und versäume darüber die Haupt­sache, die, mich nach dem Befinden der gnädigen Frau zu erkundigen, das mir, auf der Rückfahrt, in der That ernstlich gefährdet erschien, denn ich entsinne mich nicht, etwas Aehnliches von Zug erlebt zu haben, nicht einmal auf amerikanischen Bahnen, die bekanntlich in »frischer Lust« ein Aeußerstes thun. O, wie hass' ich diese großen Salon-Wagen, wo jede Vorsicht, auch die sorglichste, scheitert, weil einem das eine geschlossene Fenster, auf das man einen reglementsmäßigen Anspruch hat, zu rein gar nichts hilft, man bleibt eben immer noch im Kreuzfeuer von sechs anderen, die sich der Controle durch aller­hand Zwischenbanten entziehen, eine wahre Perfidie der Wagenbau-Construkteure. Sahen Sie gestern wohl den dicken kleinen Herrn in dem Nachbar- Compartiment? Der war Schuld. Mit einem wahren Krach ließ er alle noch geschlosseneil Fenster in die.Versenkung niederfahren, und sah sich dabei so stolz und herausfordernd lim, daß mir der Muth entsank, ihn in seinem mörderischen Thun zu hin­dern. O diese Ventilations-Enthusiasten!"

Und doch weiß ich nicht," sagte St. Armand, ob sein Antagonist, der Ventilations-Hasser, nicht vielleicht noch schlimmer ist als der Ventilations- Enthusiast."

Aufs Letzte hin angesehen, also Extrem gegen Extrem, ganz unbedingt. Zu viel Luft ist immer besser als zu wenig. Aber sehen wir von solch' äußersten Fällen ab, so geb' ich dem Ventilationsfeinde den Vor­zug. Er mag eben so lästig sein wie sein Gegner, eben so gesundheitsgefährlich oder meinetwegen auch noch mehr; aber er ist nicht so beleidigend. Der Venti­lations-Enthusiast brüstet sich nämlich beständig mit einem Gefühl unbedingter Superiorität, weil er, seiner Meinung nach, nicht bloß das Gesund­heitliche, sondern auch das Sittliche vertritt. Das Sittliche, das Reine. Der, der sämmtliche Fenster aufreißt, ist allemal frei, tapfer, heldisch, der, der sie schließt, allemal ein Schwächling, ein Feigling, nn Ig-ello. Und das weiß der unglückliche Fenster­schließer auch, und weil er es weiß, geht er ängst­lich und heimlich vor, so heimlich, daß er mit Vor­liebe den Moment abwartet, wo sein Widerpart zu schlafen scheint. Aber dieser Widerpart schläft nicht, und mit jenem nie versagenden Muth, den eben nur die höhere Sittlichkeit giebt, springt er auf, läßt seine Zornader anschwellen, und schleudert das Fenster wieder nieder, genau so wie der dicke kleine Herr gestern. Sie können 10 gegen 1 wetten, der Antagonist voü Zug und Wind ist immer Voll Timi- dität, der Enthusiast aber (und das ist schlimmer) voll Effronterie."

Sehr gut," stimmte der Emeritus ein.

(Fortsetzung folgt.)