Heft 
(1.1.2019) 02
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«Lecile.

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wer ist Cveile? Dies ist nämlich ihr Name. Woher stammt sie? Brüssel, Aachen, Sacra Coeur, so schoß es mir durch den Kops, als ich sie zum ersten Male sah, aber dies alles war ein Jrrthum. Ich sinde, sie schlesiert ein wenig, und so wird es Dir, wenn ich darin Recht habe, nur um so leichter sein, meine Neugierde zu befriedigen.

Meine Neugier? Ich würde Dir von einem tie­feren Interesse sprechen, wenn ich nicht fürchten müßte, diesen Ausdruck mißverstanden zu sehen. Sie hat offenbar viel erfahren, Leid und Freud, und ist nicht glücklich in ihrer Ehe, trotzdem sie dem Obersten, ihrem Gemahl, in einzelnen Momenten etwas wie Dank oder selbst wie Hingebung und Herzlichkeit zeigt. Aber es sind immer nur Momente, wo sie nach einem Halt sucht und diesen Halt in ihm zu finden glaubt. Also, wenn Du willst, eine Neigung mehr ans Schutzbedürfniß als aus Liebe. Mitunter auch ans bloßer Caprice.

Ja, sie hat Caprieen, was an einer schönen Frau nicht sonderlich überraschen darf, aber was durch­aus frappiren muß, ist das naive Minimal-Maß ihrer Bildung. Sie spricht gut französisch (recht gut) und versteht ein Weniges von Musik, im klebrigen fehlt ihr nicht bloß alles Positive, sondern auch jener Esprit, der adorirten Frauen fast immer zu Ge­bote steht. Wir waren gestern in Quedlinburg und kamen unter andern: an dem Klopstock-Hause vor­über. Ich sprach von dein Dichter und kannte deut­lich wnhrnehmen, daß sie den Namen desselben zum ersten Male hörte. Was nicht in französischen Ro­manen und italienischen Opern vorkommt, das weiß sie nicht. Ob sie Zeitungen liest, ist mir fraglich. Und so giebt sie sich Blößen über Blößen. Aber sie besitzt dafür ein Andres, was all diese Mängel wieder aufwiegt: eine vornehme Haltung und ein seines Gefühl, will sagen ein Herz. Denn ein feines Gefühl läßt sich so wenig lernen, wie ein ächtes. Man hat es, oder hat es nicht. Dazu gesellt sich jeuer freiere Blick oder doch mindestens jenes un­befangene, allem Schwerfälligen abgewandte Wesen, das allen Personen eigen ist, die jahrelang in der Obersphäre der Gesellschaft gelebt und sich einfach dadurch jenes jo na sgäsgnoi erworben haben, das sie Gebildeteren und selbst Klügeren überlegen macht. Sie weiß, daß sie nichts weiß und behandelt dies Manko mit einer entwaffnenden Offenheit. Trotz einer lmulmiusu Miene, die sie, wenn sie will, sehr wohl aufzusetzen versteht, ist sie bescheiden bis zur Demuth. Daß sie nervenkrank ist, ist augen­scheinlich, aber der Oberst (vielleicht weil es ihm paßt) macht unter Umständen mehr davon als- thig. Er mag übrigens, was diesen Punkt an­geht, in einer ziemlich heiklen Lage sein, denn nimmt er's leicht, wo sie's vorzieht, krank zu sein, so ver­drießt es sie, und nimmt er's schwer, wo sie's vor-

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zieht gesund zu sein, so verdrießt es sie kaum min­der. Ich war auf der Rvßtrappe Zeuge solcher Scene. Mir persönlich will es scheinen, daß sie, nach Art aller Nervenkranken, im höchsten Grade von zufälligen Eindrücken abhängig ist, die sie, je nach­dem sie sind, entweder matt und hinfällig, oder aber umgekehrt zu jeder Anstrengung fähig machen. Ueber- haupt voller Gegensätze: Dame von Welt und dann wieder voll Kindersinn. Sie lacht wenig, aber wenn sie lacht, ist es entzückend, weil man herausfühlt, wie dies Lachen sie selber beglückt. Sie war wohl eigentlich, ihrer ganzen Natur nach, aus Reifenwer­sen und Federballspiel gestellt und dazu angethau, so leicht und graziös in die Luft zu steigen, wie selber ein Federball. Aber es wird ihr von Jugend an nicht an dem gefehlt haben, was sie wieder herabzog. Vielleicht weil sie so schön war. Uebri- gens glaube nicht, daß ich au eine St. Arnaud'sche Mesalliance denke. Nichts in und an ihr, das an eine Tochter Thaliens oder gar Terpsichorens er­innerte. Noch weniger hat sie den kecken Ton un­serer Osfiziersdamen oder den unmotivirt selbstbe­wußten unseres Klein-Adels auf seinen Herrensitzen. Ihr Ton ist vornehmer, ihre Sphäre liegt höher hinauf. Ob von Natur oder durch zufällige Lebens­gänge laß ich dahingestellt sein. Sie hascht nach keinen: Witzwort, an: wenigsten müht sie sich um ein zugespitztes Reparti, sie läßt andre sich mühen, und zeigt auch darin, daß sie ganz daran gewöhnt ist, Huldigungen entgegenzuuehmen. Alles erinnert an »kleinen Hof«.

Und nun thue das Deine. Deiner Antwort sehe ich noch hier entgegen und zwar binnen einer Woche. Wird es später, so nach Berlin: posto ro- Mmtu. Zu »postlagernd« Hab' ich mich noch nicht bekehren können, lind nun Dir und meiner theu- ren Elsy Gruß und Kuß. Wie immer Dein Dich herzlich liebender Robert v. G. L."

Zehntes Kapitel.

Gordon überflog den Brief noch einmal und war mit seiner Charakteristik Cpcile's zufrieden, aber nicht so mit dem, was er über St. Armand geschrieben hatte. Der war offenbar zu kurz ge­kommen, was ihn bestimmte, noch ein paar Worte hinzuzufügen.

Eben, meine liebe Clotho, (so kritzelte er an den Rand), Hab' ich mein langes Scriptum noch ein­mal dnrchgelesen und finde, daß St. Armands Bild der Retouche bedarf. Es wird dadurch freilich mehr an Richtigkeit, als an Liebenswürdigkeit gewinnen. Wenn ich ihn Dir als Garde-Oberst eomuro- ilMut vorstellte, was zutrifft, so giebt dies doch immer nur eine Seite; mindestens mit gleichen: Rechte darf ich ihn als den Typus eines alten Garpons

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