Heft 
(1.1.2019) 02
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Frühlingstage in Gberitalien.

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befreiten Jerusalem", Torquato Tasso, in heiliger ^ Liebe hingezogen fühlte, der sein glühendes Poeten­herz in stürmischen Schlägen entgegenpochte... Andere Scenerien und Staffagen steigen da aus dem Meere der Gedanken empor, Goethe's Meisterwerk tritt lebendiger und plastischer, die feinsinnigen Gestalten des Dramas näher und wärmer an uns heran...

Wer jetzt, wo die zarten Abenddämmer in den Sälen zu weben beginnen, lauschen dürfte der Mär­chenwelt, die nun in diesem schweigsamen Reich erwacht? Was Altes werden sie sich zuflüstern die Meister der Bilder und die Geister der von ihnen verewigten Figuren? . . . Träumen wir weiter. .

Doch nach soviel Kunst gelüstete es den Rei­senden wieder nach dem echten Zauber der Natur und die Fahrt in einen der schönsten Erdenwinkel des oberen Italien ward beschlossen und ausgesührt. Heute bringt uns die Eisenbahn von Brescia weg direct nach dem Jsevsee, aber noch im vorvergange­nen Jahre trabte der antediluvianische Stellwagen dort dahin . . . Am frühen Morgen rollte das Ge­führt durch die Porta S. Giovanni hinaus, die große Mailänder Straße entlang. An der hübschen Cypressen-Allee, die zum Campo Santo führt, ging es vorüber und nach einem halben Stündchen zweigte die Straße rechts ab. Obgleich es fast durchaus in der Ebene fortging, wurden doch die Bilder und Veduten, welche sich in raschem Wechsel zeig­ten, immer malerischer und fesselnder. Zuweilen lagen kleine Häuschen an der Straße oder unweit derselben und dann tonte uns aus den offenen Fen­stern der Helle Laut eines lärmenden Kindes her­aus, oder es klang der fröhliche Sang eines Bur­schen, einer Dirne, die draußen im Freien arbeiteten.

Vor unseren Blicken breitete sich nun Camig- none aus, ein echt wälsches Dorf, das in seiner Nngepflegtheit, seinem wirren Durcheinander und der ganzen Art, in der es sich präsentirte, doch einen unbeschreiblichen Reiz gewährte. Allerlei kleine Genrebilder, die z. B. der bekannte Maler italischen Kleinlebens, Rotta, so treu wiederzugeben versteht, flogen da vorüber. Nach längerer Fahrt kam dann Provaglio in Sicht, ein ausgedehnteres Dorf, das den eigenartigen Charakter des Landes und den der Bevölkerung noch mehr zur Schau trägt. Da bot sich reges Leben genug; die kleine Welt tummelte sich außen vor den Häusern und Höfen, am Tümpel und im fließenden Bächlein schreiend und lärmend umher. Die Alten, Männer und Weiber, schufen draußen geschäftig und das Ganze zeigte in grellen Farben ein Tableau, das wir gerne länger unseren Blicken gewährt hätten.

Von da an änderte sich das Terrain. Bald zogen die Gäule gemächlicher; denn die Straße stieg merklich bergan und lief in's Gebirge, das bereits hübsche Partien zeigte . . .

Auf ziemlicher Berghöhe steht die schneeweiß blinkende Wallfahrtskirche der Madonna del Corno und schaut, wie ein Edelstein leuchtend, herab in's Thal und zu uns auf die im Sonnenbrände liegende Straße. Mit Krücken sind sie dahin schon gestiegen, die Armen, deren Glieder lahm und voller Gebreste waren und haben sich oben vor der gebenedeiten Frau verlobt. Sie baten nur um Heilung und um das Köstlichste aller Erdengüter, um Gesundheit. Und die Schmerzensreiche hatte sie erhört, hatte ihnen nach kurzer Zeit das verlorene Glück wieder­gegeben und die Krücke auf der Schulter tragend, wunderten sie dann hinauf zur lichten Höhe in die kleine Kirche, in der die kleine Holzstatue der Gottes­mutter über dem Hauptaltar thront und allen Betern so gnadenvoll zulächelt. Nun hängen die Krücken jener Geheilten neben dem Altäre und verkünden die Wunder der mirakelreichen Madonna.

Bald rechts, bald links wendet sich der Weg. Vorbei geht es an manchem hübschen Aussichtspunkt, der sich auf Momente bietet, aber rasch wieder durch neue Bilder verdeckt wird . . . Die Häuser des lieb­lichen Fleckens Jseo werden nun sichtbar; die weißen Mauern, die flachen Dächer, der Glockenthurm der Kirche, der Marktplatz, der plätschernde Brunnen darauf, das ganze niedliche Ensemble muthet den Fremden so sympathisch an, und von dort drüben ichimmert der blaue, glitzernde, weite Spiegel durch die Bäume herüber; ein Anblick, der uns sofort ganz gefangen nimmt. . .

Nach einem kleinen Mahle geht es auf's Schiff, aus den hübschen Dampfer, der an der Landungs- stelle vor Anker liegt. Nach kurzer Fahrt steigt kühn und malerisch-schön Mezz-Jsola aus der Wasserfläche empor. Steil und jäh im Osten ab­fallend, zieht sich der mächtige, steinreiche Bergrücken fast eine halbe Stunde lang dahin, zum Theil mit üppigstem Pflanzenwuchse bekleidet. Am südöstlichen Fuße liegt das Fischerörtchen Peschiera d'Jseo und seine kleinen Häuser und Hütten grüßen freundlich, wie zierliche Spielwaaren, herüber. In den Käh­nen sitzen die Fischer und werfen ihre Netze aus. Und am südwestlichen Jnselende schmiegt sich Si- viano an den Felsenberg an. Märchenhast-lieblich zeigt sich dem vorbeisegelnden Reisenden dies Nest- cheu. Wie zwei Idyllen wachsen die beiden Dörfer ans den blauschillernden, goldigen Wellen. Als Riesenkuppel wölbt sich der Himmel über dem edeu- haften Stück Erde, das ein Paradies zu schauen ist. Und drüben, im Osten, jenseits des Sees, zieht in mächtiger Höhe die herrliche Felsenstraße von Sale Marazzino bis Pisogne, an das nordöstliche See-Ende hin.

Da auf einem Felsen im See bauen sich die Trümmer eines verfallenen Klosters in die Lüfte, eine pittoreske Scenerie für das Auge. Einst lebten

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