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Ernst Reiter.
Vornehmen Manne, einem der größten Söhne Brescias, den ehrfürchtigen Besuch abzustatten.
Eigentlich war Meister Moretto doch kein Sohn Brescias. Er war ja draußen in dem kleinen Rovate geboren; aber da Brescia seine vorzüglichsten Bilder besitzt, da der Künstler in dieser Stadt meist gewirkt und geschaffen, da er hier gestorben und sein Irdisches in der Kirche S. Elemente zu ewigem Schlummer gebettet ruht, so darf man ihn vielleicht doch mit einigem Rechte den großen Sohn Brescias nennen. . . .
Durch die schmalen hohen Fenster fällt gedämpfter Lichtschein in das morgendlich-stille Gotteshaus.
Die Marmorbüste auf dem Grabdenkmal des seit mehr als drei Jahrhunderten Entschlafenen erglänzt im matten Schimmer und läßt in schöner Lebendigkeit die Züge des Meisters erkennen. Der Blick der Steinbüste ist hinübergerichtet auf das große Altarbild, das in kraftvoller Frische, mit allem Reiz und Zauber seiner Farbentöne ausgestattet, die Heiligen Clemens, Dominicus und Florian, Katharina und Magdalena und inmitten eines Chores von Engeln Maria mit dem Kinde darstellt. . . .
Mit dem wundersamen, seelenvollen Ausdrucke, der den Madonnen Rafaels eigen, mit dem ganzen Glück, das Tizian, Moretto's Lehrmeister, in seine Kirchenbilder zu legen wußte, schauen uns hier die Gestalten entgegen. Man kann sich nicht trennen von dem edelschönen Gemälde; denn jede einzelne der Figuren wird uns nach wenigen Minuten schon so lieb und werth und immer lieber und werther, sympathischer und vertrauter. Und Moretto selbst lächelt den Beschauer aus den Zügen des frommen Bischofs da zur Linken so freundlich, so gütig an, als gälte es einem guten alten Bekannten, einem Vertrauten, warmen Gruß zu entbieten. In dein reinen, sinnigen Antlitz der hehren Gottesmutter hat der Künstler seine Jugendliebe, Mona Con- stanzia, verklärt und jeder Zug zeigt die edle tiefe Neigung, mit der er ihr ergeben war. Und ringsum an den verschiedenen Altären dieser Kirche und über den Altären mancher anderen Kirche Brescias finden wir die herrlichen Bilder unseres Meisters. So meint man immer in dessen lebendiger Nähe zu sein, seinem Schassen und Wirken zuzuseheu, weil uns seine Werke von den Wänden der frommen Stätten entgegenschauen. Eine eigenartige Andacht, ein undefinirbares Empfinden erfüllt uns, und mit ahnungsvollem Beben blicken wir empor zu den durch die Heiligkeit der Kunst geweihten Bildern. . . .
Und hier wieder, in dem schönen, der h. Afra gewidmeten Gotteshause, sehen wir eines der besten Werke des Lehrers Moretto's — Tizian's „Ehebrecherin vor Christo". In seiner ganzen großen ^ Kunst zeigt sich uns der Unvergleichliche-Unsere
Phantasie entführt uns nach Venedig, nach Biri- Grande, der Insel Murano gegenüber, wo der Meister seine reichgeschmückte Werkstatt, sein prunkvolles Heim besaß, wo ihn der boshaft-schelmische Dichter Pietro Aretino, wo ihn Jacopo Sansovino besuchte, wo er Gelehrte und Künstler und schöne Frauen mit goldrothem Haare und schneeigweißem, verführerischem Nacken empfing, wenn sie kamen, seinen rauschenden Festen beizuwohnen. . . .
Draußen lag dann das weite, blaue, leichtbewegte, ewig-einzige Meer, das sich in der Ferne mit dem blauen Himmel einte, und aus dem kleine, weiße Pünktchen, die Segel der Boote, wie flüchtige Möven dahinslogen. . . .
Da ruht das herrliche, doch sündige Weib mit dem unvergleichlichen Leib vor dem göttlichen Menschensohn, zu seinen Füßen hingestreckt — die schöne Büßerin: Maria Magdalena. Und wieder nimmt die Farbenpracht dieses Bildes ganz unsere Sinne gefangen.
Dort erkennen wir aus der Töne leuchtenden Gluth, den Pinsel Paolo Veronese's, der uns die Marter der h. Afra darstellt ... So sieht unser inneres Auge die drei berühmtesten Maler ihrer Zeit und des nördlichen Italien nebeneinander und läßt der Phantasie im Ausdenken von Geschichten freien Lauf. . . .
Farbenreiche Bilder, wie die Wundertableaux der Fata Morgana anzuschauen, tauchen in den kühlen, stillen Räumen der Galleria Tost vor uns auf.
Rafael's Geist und hehre Kunst sprechen da aus seinen „dornengekrönten Christus" mit der ganzen Süßigkeit und Lieblichkeit, Kraft und himmlischen Vollendung, deren sie beide so viel bergen. Der fürstliche Meister selbst steht lebendig vor unseren Sinnen, er, der gleich groß gewesen wäre, wenn ihm auch die Hände gefehlt Hütten.
Die Märchen erwachen, die uns von seiner Liebe zur Fornarina erzählen, sein Auge scheint zu leuchten und im hohen Glücke zu glühen; eine selige Zeit der höchsten Weihe in der Kunst glänzt an unserem geistigen Horizonte... Hier blickt mit wonnigem Schauer eine „Madonna" Giulio Ro- mano's, des Lieblingsschülers Rafaels, herüber und wir glauben beide, Meister und Schüler, miteinander emsig schassen zu sehen in der Villa Farne- sina zu Rom, an dem großen Freskogemälde, dem „Triumph der Galatea" . . .
Wie es in den lauschigen, golddurchflutheten Boskets des Parks zischelt und lacht und küßt und schmollt, in dem sich der „Einzige" und sie, sein geliebtes Mädchen zusammenfinden . . . Ein Traum, ein Erinnern, das auftaucht und wieder verweht, wie die leichten Nebelschleier, die am Morgen über die Bergspitzen ziehen . . . Und da wieder Cano- va's herrliche Büste der Eleonara d'Este, jener edlen Fürstentochter, zu der sich der Dichter des