Frühlingstage in Dberitalien.
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An der Wirthstasel war nun die obligate Minestrasuppe, der Braten, die Pasten, das übliche Giar- dinetto erledigt und bei der duftenden Cigarrette wurde der 6nts uoro geschlürft . . . Leichten Sinnes flanirten wir dann durch die breiten Straßen der geräuschvollen, vom Gehämmer und Klopfen der zahllosen Schmiede und Klempner widerhallenden Stadt, die so recht den echten Typus italienischen Kleingetriebes, südlicher Beweglichkeit zur Schau trägt . . .
Durch die Porta S. Giovanni geht es hinaus zur stillen Stätte des Friedens, zum Campo Santo, der einer der schönsten des nördlichen Italien ist. Durch ein Chaos sich stauender Lohn- und Fuhr- wagen, Fußgänger und Reiter, durch eine von echt südlicher Farbengluth belebte Menge, drängt es da in's Freie.
Zwischen den langen Hallen, welche die Meisterwerke der größten Bildner des Landes schmücken, hier, wo ein Odem des Ewigen an die Vergänglichkeit irdischen Seins gemahnt, und doch auch wieder mit so milden Träumen erfüllt, wo in edlen, kunstvollen Formen die Ebenbilder der Entschlafenen dem stillen Wanderer entgegenschauen und die dunkle melancholische Cypresse wie trauernd ihre Schatten über die Hügel wirft, meint man wohl allen Ernstes in reinere Sphären entrückt zu sein.
Die weißen Marmorbilder, die weinenden Genien und Engel an den Grüften, erglänzen jetzt im scheidenden Schimmer des weichenden Tages. Ein Vogel läßt noch aus dichten Zweigen sein einsames Singen ertönen, ein schluchzender Laut aus schmerzvoller Menschenbrust wird noch hörbar. Dann liegt tiefes Schweigen über dem weiten Garten; die Dämmerung des Abends, Friede und Feierstille breiten sich über die Gefilde des Todes aus ....
Nacht! . . . Hell leuchtend steht der volle Mond oben am tiefblauen reichgestirnten Himmel! . . . Seiner Silberfäden märchenhaftes Weben spinnt sich hernieder auf die großen breiten Steinplatten der Piazza und wie in hingehauchten Tropfen rieseln die grellen, schneeigen und wieder bläulich-funkelnden Lichtwellen herab an den alten, dunklen Mauern der alten düsteren Häuser und Paläste, an denen Jahrhunderte schon vorüber gerauscht sind. Ueber die Architrave und Capitäler, über die Säulen des Arkadenganges, der den Hintergrund des schönen laughingezvgenen Platzes bildet, fließt der magische Strom, in dem zuweilen zitternde Flämmchen aufzuzucken scheinen. Aus jeder dieser hochausragenden Steinburgen vermeint man das Flüstern und Sagen von Längstvergangenem, Längstverwehtem zu hören; es ist in den stillen Seitengassen zur Rechten und Linken, als ob der flammende Mondschein das todte Gemäuer belebe, damit es seine abenteuerlichen Geschichten erzählen könne, ll. 2.
Etliche Gassen entfernt, steigt der altersgrau Palazzo Communale, die Loggia, in die Nacht empor. Niemand zeigt sich weit und breit; nur drüben auf dem Torre dell'Orologio, dem Uhrthurm, heben jetzt die beiden großen Eisenmänner ihre ehernen Arme und holen mit dem schweren Hammer zum Schlage aus. Vierundzwanzigmal fällt derselbe auf die eiserne Uhrglocke nieder, die Mitternachtsstunde der alten italischen Zeitrechnung, welche hier noch aufrecht erhalten wird, verkündend.
Im grellen Lichtschein zeigen sich auf dem Palazzo die Medaillons aus farbigem Marmor, die sn rollst' die Büsten der römischen Kaiser tragen. Und da, vom vollen Glanze des Nachtgestirns beleuchtet, schauen in plastischer Schärfe die Köpfe Jacopo Sansovino's und Palladio's, der Erbauer dieses monumentalen Gebäudes, herab . . . Eine Reihe farbeuschöner Architekturbilder taucht unserem geistigen Auge in frischer Kraft auf; wir sehen den kunstgewandten Meister Jacopo Tatti, der sich bekanntlich feinem Lehrer Andrea Sansovino zuliebe, Sansovino nannte, umgeben von den vollendeten Prachtbauten und Sculpturen, wie sie uns in den oberitalienischen Städten, dann in Venedig, Florenz und Rom in so herrlicher Art entgegentreten. Wir wandern im Geiste nach dem Tiber und bewundern dort am Corso den Formenadel im Innern von San Marcello und die Vornehmheit des Styls im Palazzo Nicolini. All die erhaben gedachten Bauwerke in der Lagunenstadt, welche der einstige erste Architekt von San Marco geschaffen, zeigen sich unserem inneren Blicke wieder in neuerstandener Schöne . ^ .
Und nun nickt Meister Palladio seinem großen Vorgänger freundlich zu, die Züge feines grauen . steinernen Antlitzes scheinen sich immer mehr und ! mehr zu erheitern und es ist, als öffne der Bau- l meister der Republik Venedig nun den feingezeich- ! neten Mund und bewege die schmalen feinen Lippen.
! Aber kein Laut stört die tiefe Stille. Viel- ! leicht wollte er über die grauenhafte Verwilderung, z welche nach ihm der Baustyl der Barockzeit ergriff ^ und die Reinheit seines Schaffens trübte, mit kri- ! tischer Strenge dociren, doch besinnt er sich wohl i noch rasch, daß er selbst ja ein wenig, ein klein ^ wenig doch, darin vorgearbeitet hat . . .
Als am nächsten Morgen die Sonne ihr flüssig Gold verschwenderisch ausgoß über die alten Gassen ! und Plätze und geschäftiges Leben, echt welsche Regsamkeit mit sprühender Lust beleuchtete, das weithin hallende Schreien der verschiedenen Ausrufer und Händler, der fliegenden Kleinkrämer, Zeitungsverkäufer, Stiefelputzer u. s. w. an unser Ohr drang, das Frühstück eingenommen und das Neueste aus den Localblättern geschöpft war, galt es einem gar
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