Heft 
(1.1.2019) 03
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Theodor Fontane.

Glocke herüberklang. Und siehe da, keine Minute mehr, so vernahm man auch schon den Pfiff der Lokomotive, darnach ein Keuchen und Prusten, und nun dampfte der Zug auf wenig hundert Schritt an dem Lindenberge vorüber.

Er geht nach Berlin", sagte St. Armand. Willst Du mit?"

Nein, nein."

Und nun sahen Beide wieder der Wagenreihe nach und horchten auf das Echo, das das Gerassel und Geklapper in den Bergen wach rief und fast so klang, als ob immer neue Züge vom Hexentanz­platz herunter kämen.

Endlich schwieg es und die frühere Stille lag wieder über der Landschaft. Nur die Brise, vom Dorf und Fluß her, wuchs und die Kornfelder neigten sich und mit ihnen der rothe Mohn, der in ganzen Büscheln zwischen den Halmen stand.

Unwillkürlich machte Cscile die schwankende Be­wegung mit, bis sie plötzlich aus ein Bild wies, das der Aufmerksamkeit Beider wohl Werth war. Von jenseit der Bahn her kamen gelbe Schmetterlinge, massenhaft, zu Hunderten und Tausenden und ließen sich aus dem Kleefeld nieder oder umflogen es von allen Seiten. Einige schwärmten am Waldrand hin und kamen der Bank so nahe, daß sie fast mit der Hand zu fassen waren.

Ah, Pierre," sagte Cscile.Sieh nur, das bedeutet uns etwas."

O gewiß," lachte St. Arnaud.Es bedeutet, daß Dir alles huldigen möchte, gestern die Rosen­blätter und heute die Schmetterlinge, Boncoeurs und Gordons ganz zu geschweige«. Oder glaubst Du, daß sie meinetwegen kommen?"

Dreizehntes Kapitel.

Alles freute sich auf Altenbrak, und selbst Cscile war schon um acht auf dem großen Balkon, trotzdem der Aufbruch erst um zehn und zehn­einhalb erfolgen sollte.

Dieser Aufbruch zu verschiedenen Zeitpunkten hatte darin seinen Grund, daß Cscile, so sehr sie sich erholt hatte, für eine Fußpartie doch nicht aus­reichend gekräftigt war, während St. Arnaud, ein leidenschaftlicher Steiger, aus eine Wandrung über die Berge hin nicht gern verzichten wollte. So war man denn übereingekommen, den Marsch in zwei Colonnen zu machen, von denen die Fuß- colonne: St. Arnaud, der Emeritus und der Pri­vatgelehrte um 10 Uhr voraus marschiren, die Reitercolonne: Gordon und Cscile um 10^ Uhr Nachfolgen sollte. Danach wurde denn auch Ver­fahren, und als der Fußtrupp um eine halbe Stunde voraus war, erhoben sich die bis dahin Zurück­gebliebenen, um sich, unmittelbar vor dem Hotel, an dem Halteplatze der Wagen und Pferde, beritten

zu machen. Gordon, wenig zufrieden mit dem Be­stände, den er hier vorfand, unterhandelte gerade mit einem der Vermiether, als Cscile, zwischen den Pferden hin, ein paar Esel gewahr wurde, die ganz zuletzt im Schatten einer Platane standen. Sie freute sich sichtlich dieser Wahrnehmung, und mit einer ihr sonst nicht eigenen Lebhaftigkeit die Ver­handlungen unterbrechend, sagte sie, während sie nach der Platane hiuzeigte:Da sind Esel, Herr von Gordon. Das ist nun einmal meine Passion: Eselreiten und Ponysahren. Und wenn Sie nicht Anstand nehmen. ."

Im Gegentheil, meine gnädigste Frau, man sitzt besser und gemüthlicher und das gefürchtete »vom Pferd auf den Esel kommen«, was bildlich sein Mißliches haben mag, ist mir io rmlnra, nie schrecklich gewesen."

Ein Blick, von dem schwer zu sagen war, ob mehr Huld oder Kinderfreude darin vorherrschte, belohnte Gordon für seine Bereitwilligkeit, und wenige Minuten später saßen Beide bereits plau­dernd im Sattel und trotteten, über einen Brücken­steg hin, auf eine mit vorjährigem Eichenlaub ge­füllte Schlucht zu, die, jenseits der Bode, zu der aus dem Bergrücken entlang laufenden Blanken- burger Chaussee hinaufsührte. Neben ihnen her ging der Eseljunge, den Esel, aus dem Cscile saß, dann und wann zu beschleunigterer Gangart an­treibend. Es war ein bildhübscher, zugleich hart­gewöhnter Junge, der abwechselnd ging und lief, und dem Gespräche, das Gordon und Cscile führten, mit klugem Auge folgte.

Das Laub raschelte, die Sonne spielte durch das Gezweig, und aus dem Walde her vernahm man den Specht und dann und wann auch den Kukuk. Aber nur langsam und spärlich, und als Gordon zu zählen ansing, rief er nur ein einzig Mal noch.

Ist Euer Harzkukuk immer so faul?"

O nein; 'mal so, 'mal so. Soll ich ihn fragen?"

Versteht sich."

Wie viel Jahre noch?"

Und nun antwortete der Kukuk und sein Rufen wollte kein Ende nehmen.

Das schuf eine kleine Verstimmung, denn jeder ist abergläubisch, und um die Verstimmung wieder los zu werden, sagte jetzt Gordon, das Thema wechselnd:Eselreiten und Ponyfahren! Sie sprachen so glückstrahlend davon, meine gnädigste Frau. Sind es Kinder-Erinnerungen? Das Ponyfahren läßt es fast vermuthen. Aber, Pardon, wenn ich in meiner Neugier vielleicht indiskrete Fragen thue."

Nicht indiskret. Ueberhaupt was ist Diskre­tion? Wer ihr L tont xrix leben will, muß in den Karthüuser-Ordeu treten."