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Theodor Fontane. Löcile.
„Vielleicht, vielleicht. . . Aber ich denke, die Gnade rechnet mehr unsere Gutthat an als unsere Schuld."
Cocile wollte nur ruhn, aber zuletzt war' sie doch eingeplaudert worden; ein paar Psauentauben flogen auf's Fenstersims und die junge Frau Försterin verließ leise das Zimmer, um ans die Veranda, wo nur noch St. Arnaud und der Präceptor verblieben waren, zurückzukehren und hier Mittheilung zu machen, daß die gnädige Frau schlafe.
„Das ist gut," sagte St. Arnaud, „ich sah, daß sie der Ruhe bedurfte. Nun aber, mein Herr Präceptor, müssen Sie mich mit Ihrem ganzen Gewese bekannt machen. Ich sind' es nur in der Ordnung, daß man im Publikum überall von Ihrem «Schloß Rodenstein « spricht, denn wirklich, Ihr Gasthaus hängt wie eine Burg am Felsen. Ist es Granit?"
„Porphyr, Herr Oberst."
„Desto besser, oder wenigstens um eine Stufe vornehmer. Aber vornehmer oder nicht, ich muß das alles sehen, immer vorausgesetzt, daß Ihnen Ihr Fuß ein Umhersteigen gestattet."
„O gewiß, mein Herr Oberst, wenn Sie nur Geduld mit einem alten Invaliden haben wollen, der ein etwas langsames Tempo hat und immer nur einen Schritt macht, wenn andre drei machen."
„Ganz nach Ihrer Bequemlichkeit. Ich werde Sie doch nicht um etwas bitten und Ihnen zum Dank für die Gewähr auch noch das Tempo vorschreiben wollen. Das wäre doch ein gut Theil zu viel. Aber nun sagen Sie mir zuvörderst, was bedeutet das Tempelchen, das ich da sehe? Hier, gleich links, ans der obersten Spitze?"
„Das ist mein Schmuckstück, meiu Belvedere, wohin ich Sie gerade führen möchte. Da tritt der Porphyr am reinsten heraus, und Altenbrak liegt uns zu Füßeu. Erlauben der Herr Oberst daß ich die Tote nehme."
Bei diesen Worten erhob er sich und schritt, sich ans sein Weichselrohr stützend, auf einen in den Fels gehauenen Zickzackweg zu, der nach dem Aus-
sichtstempelchen hinansführte. St. Arnaud folgte, schwieg indeß, weil er wahrzunehmen glaubte, daß dem alten Herrn nicht blos das Steigen, sondern auch das Athmen schwer wurde.
Nun aber war man oben und sah in die Landschaft hinaus. Was in der Ferne dämmerte, war mehr oder weniger interesselos, desto freundlicher aber wirkte das ihnen unmittelbar zu Füßen liegende Bild: erst das Gasthaus, das mit seinem Dächergewirr wirklich an eine mittelalterliche »Barg Rodenstein» erinnerte, dann weiter unten der Fluß, über den links abwärts ein schlanker Brückensteg, rechts aufwärts aber eine alte Steinbrücke führte.
„Beneidenswerther, Sie," sagte der Oberst. „König Polykrates aus seines Daches Zinnen. Und sagen hoffentlich mit ihm: »Gestehe, daß ich glücklich bin«. Ist es nicht so?"
Der Präceptor wiegte den Kopf hin und her und schwieg, bis er nach einer kleinen Weile sagte: „Nun ja, mein Herr Oberst."
„Nun ja! Was heißt das? Warum nicht blos ja? Was fehlt? Ein Mann wie Sie, Liebling fünf Meilen in der Runde, gehalten von der Gemeinde, geschätzt von der Behörde, —- wie wenige dürfen sich dessen rühmen! Und wenn dann das Jubiläum kommt. ."
„Es kommt nicht."
„Warum nicht?"
„Weil ich den Dienst qnittirt habe."
„Wie das? Aber freilich . . Pardon . . ich entsinne mich; Ihr Freund und Verehrer, der Herr Emeritus hat uus schon in Thale davon erzählt und auch den Grund genannt, der Sie bestimmte. Gewissens-Bedenken, um nicht zu sagen Gewissensbisse."
Der Alte lächelte. „Nun ja, Gewissensbisse, das auch. Aber das alles, offen gestanden, blieb doch blos die kleinere Hälfte. Die Hauptsache war, ich wollte dem Ehrentag entgehen, demselben Ehrentag, dessen der Herr Oberst eben erwähnte."
„Dem Jubiläum? aber weshalb?"
(Fortsetzung folgt.)