Heft 
(1.1.2019) 03
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A. G. v. Suttner.

ein Theil an Krankheiten starb, und der Rest in den Nachbarprovinzen aufgefangen wurde, um als gute Beute nach der Westküste geschafft zu werden.

Man darf die Sklaverei im Orient nicht auf eine Stufe mit jener stellen, wie sie einmal in Ame­rika existirt hat. In jenem freien Lande, wo Alles nach Arbeit und Thätigkeit hastet, wo es gilt, den Kampf um's Dasein durchfechten, wenn man nicht elend zu Grunde gehen will, war es natürlich, daß die Freigelassenen dem Beispiele folgten, das sie allenthalben vor Augen hatten, und daß somit die schwarze Rotte viel schneller einer Selbstcivilifation entgegen ging, als man sogar zu hoffen berechtigt gewesen. Aber im Orient, wo der träge Moha- medaner sich's zehnmal überlegt, ehe er die Finger rührt, wo noch ein strenger Kastengeist herrscht, dem­zufolge der Freigeborene das Privilegium hat, auf der faulen Haut zu liegen, da ist nicht das Feld, um so in aller Eile Wilde zu zähmen, insbesondere, da sie es speziell bei mohamedanischen Herren in der Regel sehr gut hatten.7 Wie war es doch vor etwa dreißig Jahren noch in den Vorhallen des Orients, im Kaukasus, als auch dort der Menschenhandel aus der Tagesordnung stand und die Haupteinnahms­quelle des Landes bildete? Da sehnte sich das junge Mädchen nach dem Zeitpunkte, wo es reif war, um vom eigenen Vater nach Stambul verkauft zu wer­den, weil es dann einem behaglichen Stillleben im Harem entgegenging, wo es keine andere Pflicht zu er­füllen hatte, als dem Gebieter zu gefallen, Confect zu essen, Cigaretten zu rauchen und dem äoloo küraioiito zu leben. Die Russen konnten der Sache auch nicht mit einem Schlage ein Ende machen; es hieß Geduld haben, nach und nach europäische Sitten und Ideen einsühren, und nur dort, wo alle Geduld scheiterte, entschloß man sich, energisch vorzugeheu. Da aber handelte man auch in der That so, daß es biegen oder brechen hieß, und demzufolge entschlossen sich die Hauptrebellen, die Tscherkcssen, au 300,000 Köpfe stark, die Heimat zu verlassen, um sich auf türkischem Boden anzusiedeln. Heutzutage aber, nachdem die kaukasische Bevölkerung auch zum Theil europäisch zu denken und zu fühlen im Stande ist, würde sich's ein Familienoberhaupt Wohl überlegen, seine Tochter nach Stambul zu verschachern, nachdem sie als Leh­rerin oder Arbeiterin ihr gesichertes Auskommen im Heimatlande findet.

Als Gordon endlich sah, daß es auf sein Ge­botes werde licht" nicht licht wurde, beging er den großen Fehler, zu widerrufen, und aus einem Ver­folger der Sklaverei fast zu einem Protektor derselben zu werden. Dieses öffentliche Bekennen, daß er sich geirrt, war vielleicht sehr ehrlich, sicher aber auch sehr unpolitisch, denn er setzte sich dadurch der beißenden Kritik aller seiner Feinde aus, die nach Hunderttausenden zählten. - Nachdem er endlich

seine Würde als ägyptischer Generalgouverneur nieder­gelegt und eine Zeitlang in der Heimat als Privat- Schulinspector und Temperenzler sungirt, tauchte er eines schönen Tages urplötzlich wieder im Sudan als englischer Generalissimus auf. Mit dem Geiste des armen Mannes war offenbar nicht alles in Ord­nung, da er sich außer mit der Kriegswisseuschast noch mit religiösen Studien befaßte, den Leuten, ob sie es nun verlangten oder nicht, die Bibel aus­legte, uud immer mehr und mehr zum mystischen Misanthropen wurde, um schließlich in Chartum als Feldherr ohne Armee, den schlimmen Ereignissen entgegen zu seheu, die nicht mehr lange auf sich warten lassen sollten.

Sein Verhältnis^ zu Hansal war ein nicht allzu freundschaftliches, da Letzterer als Consul zu Gunsten österreichischer und deutscher Reisender mit dem eng­lischen Pascha mehr Sträuße auszufechten gehabt, als ihm lieb gewesen. Die Briefe Marno's und Hansal's beweisen ja zur Genüge, daß Gordon auch in den kleinsten Dingen nie einen decidirten Cha­rakter zeigte, sondern immer hin- und herschwankte, eine Eigenschaft, die sonst häufig bei den Südländern und nur selten bei den Nordländern zu finden ist.

In der allerletzten Zeit übrigens schienen die beiden Europäer in Chartum sich besser miteinander verständigt zu habeu, denn es ist bekannt, daß ge­rade gegen Ende des Trauerspiels Hansal und Gor­don öfter zusammenkamen. Das ist wohl be­greiflich: beide mochten ahnen, daß ihre Tage gezählt waren und in einem solchen Momente söhnt man sich wohl mit dem erbittertsten Feinde aus, wenn dieser der Einzige von unserer Rasse unter einem Rudel Wilder ist Chartum zählte damals un­gefähr 40,000 Einwohner, alles Leute, welche die Weißen in diesen erregten Zeiten mit scheelen Augen ansahen und ihren Haß nicht mehr zu mas- kiren brauchten. Da mögen nun wohl die beiden Europäer in jenen kritischen Tagen sich unwillkür­lich aneinandergeklammert haben, um sich Trost und Muth zuzusprechen!- Hansal wohnte im besseren Viertel der Stadt, im nordöstlichen Theil gegen den blauen Fluß zu, wo die Gebäude und Gärten der katholischen Mission liegen. Sein Haus stand knapp neben der Hackmudirieh, dem Regierungsgebäude, er war also Gordon's unmittelbarer Nachbar. Daß die Stimmung in Chartum gegen alles, was Europäer hieß, eine gehässige war, hatte be­sonders darin seinen Grund, daß die größeren Han­delshäuser der Stadt durch Gordon's ehemaliges Sklavenedikt fast zu Grunde gerichtet worden waren. So gährte also der Haß inmitten der Bevölke­rung noch von vergangenen Zeiten her fort, als der verhängnißvolle Tag kam, wo die Thore Chartum's durch Verrath den Feinden geöffnet werden sollten.

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