Die Glocke von Grußkirchen.
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heute zu der fünsundzwanzigjährigen Jubelfeier des Meßuers von Sölleudorf gehe! Hat ja fein Vater ein Opfer hinüber gewidmet. Der Teufel guckt herum, ob ich nicht schon fort bin und wer etwa heute läutet. Aha, so ist die Geschichte! Ich kenn' mich schon aus. Wart', Dir werd ich das Ausbrechen des Feuers verhüten und mir mein Haus und mein liebst Gut recht wohl bewahren!
„Landl," sagte er zum Mädchen, das eben beim Nähen faß, wie träumerisch in sich versenkt oder nur ganz mit der Arbeit beschäftigt. Wer weiß, ob sie nicht doch mit kundigen Blicken auch schon den herumspazierenden Loisl ersehen und dies sie träumerisch nachdenklich gemacht!
„Landl," sagte der Vater zu der geschickten Emsigen, und sie erschrak mithin in der Stille förmlich: „Mögst mit mir gehen und heute läuten Helsen? Ich möchte nicht mein Gewand strapa- ziren, auch uicht in Schweiß kommen und dabei gleich von draußen weitergehen. Komm', hilf mir!"
Das Mädchen legte ruhig die Arbeit aus der Haud, folgte mit seltsam niedergeschlagenen Angen dem Vater und that, wie er befohlen.
Draußen, hinter der Ecke, merkte Jemand den Vorgang und sicherte in sich hinein bei dem ahnungsvollen Gedanken — welcher reizvolle Abend das heute, in Abwesenheit des Meßners, traulich mit der herzallerliebsten Landl sein werde!
Prächtig klang das Geläute ins Thal und fast noch schöner als je; denn zwei Kräfte brachten es hervor und die eine legte alle ihre Herzenswünsche hinzu; — hätte das Herzpochen etwas am Tönen hinzuwirken können, es würde seltsam aushallend geworden sein.
Endlich klangen die letzten hinzngefügten Schläge — der letzte englische Gruß — aus — und der Meßner sprach:
„So, mein lieb's Dirnl, jetzt brauchst Dich mit dem Heimgehn nit zu Plagen; jetzt bleibst da! Glaubst Du, ich wüßt' nit, was heut' geschehen könnt'? geschehen wird? — Alle Jahr' wird ein Meßner nit geboren, will ich sagen jubilirt, und noch in der Nachbarschaft dazu; und heut' kann ich nit daheim bleiben. Das bin ich meiner Ehr' und meinem Stand schuldig. Aber, daß mir nix angestellt wird, was mir nit lieb ist, und daß Dir auch der Wiesbichler Loisl nit zukann, gegen dein' eigenen Willen . . . kurz, daß Du nit mit ihm, er nit mit Dir . . . das Paart überhaupt nit znsammen- kommt. . . bleibst Du da, bis ich wieder daheim bin! — Die sKirchen isi ein prächtiger Ort, fest und geschlossen allseits ... die Schlüssel nehm' ich mit mir. Magst beten und es wird Dir gut thun. Zeit hast. Und Du versäumst sonst nix. Ich werd' Dich schon an Ort und Stell' wieder-
II. 2.
finden; wohl etwas früher z'hauskommen, als ich möcht'. Und jetzt behüt' Dich Gott, und da bist in allem guten Schutz!"
So sprach er.
Sie stand sprachlos und fand keine Worte zur Einwendung. Das war ganz unversehen und noch nicht dagewesen, auch nicht als erdenklicher Fall irgendwie vorgeahnt.
Ehe sie Worte fand oder zu Worte zu kommen vermochte, war Vater Kirchendiener buchstäblich beim Tempel draußen, bei der Thüre — diese hatte sich rasch gewendet, das große Schloß knarrte — noch ein Krächzen und Aufrasseln des dicken Schlüssels beim Verlassen seiner eisernen Hast — es war ein Abschied — Schlüssel und Vater waren mit einander davon.
Sie stand allein. Das Schweigen der verlassenen Kirche, die anstarrenden Mauern, Säulen, Bilder waren ihr heute unheimlicher denn je. Wohl war sie dieselben sehr gewöhnt. Aber anders sieht sich Allerlei an unter verschiedenen Gesichtspunkten und Verhältnissen.
Es wurde ihr, wenn nicht ganz gruselig, doch schwach ums Herz; sie setzte sich in den allernächsten Kirchenstnhl und seufzte bange.
Die Gedanken verwirrten sich ihr nahezu. Alles ging ihr kraus und bunt im Innern durcheinander.
Nach einer Weile — sie wußte nicht, ob sie kurz oder lange vereinsamt gesessen — mußte sie, durch ein Geräusch aufmerksam gemacht, hinhorcheu. War's eine Maus, war irgendwo eine Katze eingedrungen ... es tickelte ... es klopfte . . . scharrte . . . pst! pst!
Sie eilte an die Seitenpforte längs der Wand dahin, denn dorther kam das Geräusch, der Ton . . . sie waren doch mehr an Menschen als an Gethier mahnend ... ja da klopfte, zischelte es wieder . . . sie horchte . . . ein leiser Ruf: „Landl!"
Loisl war's. Er hatte sich, als er des Weiter- wanderns des Alten sicher geworden, herbeigeschlichen. Er hatte Alles gesehen, den Alten mit dem Mädchen zur Thüre eingeheu, aber ihn allein, ohne sie, wiederkehren. Er brachte sich Alles in richtigen Zusammenhang. Er kam nun, die gefangene Geliebte zu trösten und ihr irgendwie in ihrer Einsamkeit beizustehen, er wußte vorerst selbst noch nicht wie. Er wollte nur vor Allem sich melden.
„Landl, arme Landl . . . bist eingesperrt. . . so allein . . . und ich kann Dich nit einmal sehen!"
„Denk' Dir ... so eine Straf'," erwiderte sie, „so eine ausspekulirte Boshaftigkeit. Jetzt können wir gar nit zusammen den ganzen langen Abend!"
„Und ich Hab' mich so g'freut!"
„Und ich Hab' Dir so viel zu sagen!"
„Leut' können ja auch jeden Augenblick kommen. Da, vor der Kirche kann ich nit den ganzen Abend,
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