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T.hec>Sc>r Fontane.
Langweil und Pedanterie. Man erkennt unschwer den Mann, der die Welt gesehen und die kleinen Vorurtheile hinter sich geworfen hat. So recht eine Bekanntschaft, wie Sie sie brauchen. Denn es bleibt bei meinem alten Satze, Sie verbringen Ihr Leben einsamer, als Sie sollten."
„Im Gegentheil, nicht einsam genug. Was sich Gesellschaft nennt, ist mir alles Erdenkliche, nur kein Trost und keine Freude."
„Weil die Gesellschaft, die sich Jhneu bietet, hinter Ihren Ansprüchen zurückbleibt. Sie lächeln, aber es ist so, meine gnädigste Frau. Was Sie brauchen sind unbefangene Menschen, Menschen, die die Sprache zum Ausplaudern, nicht aber zum Ca- chiren der Dinge haben. Und zu diesen Unbefangenen zählt Herr von Gordon. So wenigstens ist der Eindruck, den ich von ihm empfangen habe. Pflegen Sie seine Bekanntschaft und er wird Ihnen das Licht und die Freude geben, die Sie so schmerzlich vermissen."
Sie schüttelte den Kopf.
Er aber nahm theilnehmend ihre Hand und sagte: „Was ist es wieder, meine liebe gnädigste Frau? Sie müssen diese Melancholie von sich abthnn. Es gehört nicht zu den Machtmitteln unserer Kirche, den Himmel anfznschließen und selig zu sprechen. Aber so wir nur den rechten Glauben haben, so trägt unser Heiland unsere Schuld. Diese freudige Gewißheit haben wir, und Sie dürfen sich nicht mit Vorstellungen quälen, die darauf aus sind, diese Gewißheit immer wieder in Frage zu stellen. Ich weiß Wohl, was diesen Ihren beständigen Zweifeln zu Grunde liegt, es ist das, daß Sie, vor Tausenden, in Ihrem Herzen demüthig sind. Und diese De- muth soll Ihnen bleiben. Aber es ist doch zweierlei: die Demuth vor Gott und die Demuth vor den Menschen. In unserer Demuth vor Gott können wir nie zu weit gehen, aber in unserer Demuth vor den Menschen können wir mehr thun als nöthig. Und sie thuen es. Es ist freilich ein schöner Zug und ein sicheres Kennzeichen edlerer Naturen, Andere besser zu glauben als sich selbst, aber wenn wir diesem Zuge zu sehr nachhängen, so verfallen wir in Jrrthümer und schassen, weit über uns selbst hinaus, allerlei Schädigungen und Nachtheile. Damit sprecht ich dem Hochmuthe nicht das Wort. Wie könnt' ich auch? Ist doch Hochmuth das recht eigentlich Böse, die Wurzel alles Uebels, fast noch mehr als der Geiz, und hat denn auch die Engel zu Fall gebracht. Aber zwischen Hochmuth und Demuth steht ein Drittes, dem das Leben gehört, und das ist einfach der Muth."
Er hatte sich erhoben und Beide waren an die Balkonbrüstung getreten, von der aus sie jetzt die stille vor ihnen ausgebreitete Blumenwelt überblickten. Eine Weile schwiegen sie. Dann sagte
Cocile: „Muth! Vielleicht hätt' ich ihn, wenn ich nicht in trüben Ahnungen steckte. Die mir jetzt znrückklingenden glücklichen Tage, welchem Umstande verdank' ich sie? Doch nur dem, daß er, den Ihre Güte mir zum Freunde geben möchte, sieben Jahre lang draußen in der Welt war und ein Fremder in seiner eigenen Heimath geworden ist. Er weiß nichts von der Tragödie, die den Namen St. Ar- naud's trägt und weiß noch weniger von dem, was zu dieser Tragödie geführt hat. Aber auf wie lange noch? Er wird sich rasch hier wieder einleben, alte Beziehungen anknüpfen und eines Tages wird er alles wissen. Und an demselben Tage ..."
Sie brach hier ab und schien einen Augenblick zu schwanken, ob sie weiter sprechen solle. Dann aber fuhr sie voll wachsender Erregung fort: „Ja, mein Freund, er wird eines Tages alles wissen, und an demselben Tage wird auch der heitere Traum, den ich träumen soll, zerronnen sein. Und, daß ich es sagen muß, ein Glück, wenn er zerrinnt. Denn wenn er jemals Gestalt gewönne . ."
„Dann? Was dann, meine gnädigste Frau?"
„Dann wäre jeder Tag eine Gefahr. Denn es verfolgt mich ein Bild, das ich nicht wegschasfen kann aus meiner Seele. Wir gingen, als wir noch in Thale waren, St. Armand und ich und Herr von Gordon, eines Spätnachmittags an der Bode hin und plauderten und bückten uns und pflückten Blumen, bis mich plötzlich ein glührother Schein blendete. Und als ich aufsah, sah ich, daß es die niedergehende Sonne war, deren Gluth durch eine drüben am andern Ufer stehende Blutbuche fiel. Und in der Gluth stand Gordon und war wie davon übergossen. Und das ist das Bild, von dem ich fühle, daß es mir eine Vorbedeutung war und wenn nicht eine Vorbedeutung, so doch zum Mindesten eine Warnung. Ach, mein Freund, suchen wir ihn nicht zu halten, wir halten ihn nicht zu seinem Glück. Sie sind der Einzige, der es wohl mit mir meint, der Einzige, der reinen Herzens ist, und ich beschwöre Sie, helfen Sie mir alles in die rechten Wege bringen und vor allem beten Sie mir das Grauen fort, das auf meiner Seele liegt. Sie sind ein Diener Gottes und Ihr Gebet muß Erhörung finden."
Sie war unter diesen Worten in ein nervöses Fliegen und Zittern verfallen und der Hofprediger, der wohl wußte, daß ihr, wenn diese hysterischen Paroxismen kamen, einzig und allein durch ein Ab- und Ueberleiten auf andere Dinge hin und wenn auch das nicht half, lediglich durch eine fast rücksichtslose Herbheit zu helfen war, sagte, während er sie bis an ihren Platz zurückführte: „Dieser Ueber- schwang der Gefühle, meine gnädigste Frau, das ist der böse Feind in Ihrer Seele, vor dem Sie sich Eliten müssen. Das ist nicht Ihr guter Engel, das