Novelle von Theodor Fontane.
(Fortsetzung.)
„ . . von Taubenhayn," ergänzte der Hof- Prediger. Aber im selben Augenblick wahrnehmend, daß Cocile, wie bei jedem unpersönlich bleibenden Gespräche, voll wachsender Abspannung dreinsah, brach er rasch ab und sagte: „Ja, der Harz! Wir sind ganz ä'aoeorä, Herr v. Gordon. Und nun gar mein liebes altes Halberstadt, von dem ich mit dem König von Thule singen möchte „es ging ihm nichts darüber" — so sehr häng' ich daran. Und doch, wenn ich mich umthnn und einen Fleck Erde nennen sollte, der vielleicht angethan war', ihm in meinem Herzen den Rang streitig zu machen, so war es unser gutes Berlin. Und worin den Rang streitig macht? Inst in dem, was ihm am meisten abgesprochen wird, in landschaftlicher Schönheit. Bitte, treten Sie hier heran, Herr v. Gordon, hier an diese Brüstung, und dann urtheilen Sie selbst. Wenn Sie den ganzen Harz ans den Kops stellen, so fällt, so schön er ist, kein Stück Erde heraus, tvie das hier."
Und wirklich, er durfte so sprechen, denn was sich da, vom ersten Herbste kaum angeflogen, zu Füßen ihres Balkons ausbreitete, war ein Föderativstaat von Gärten, zwanzig oder mehr, die durch niedrige, kaum sichtbare Heckenzäune von einander getrennt, ein einziges großes Blumencarro bildeten, Astern in allen Farben, ans denen Rondeele von Ouuu iuäioa emporblühten. Die Mittagssonne blitzte dazwischen und ans einer ihnen gegenübergelegenen Veranda standen Damen im Gespräch und fütterten Tauben, die, von einem Nachbarhofe her, auf die jenseitige Balkonbrüstung geflogen waren.
„Insel der Seligen," sagte Gordon vor sich hin, im selben Augenblicke bedauernd, das Wort gesprochen zu haben, weil er wahrnahm, wie peinlich Cacile davon berührt wurde. Doch es ging vorüber und sich rasch wieder in ihre gute Laune zurückfindend, sagte sie: „Wissen Sie, daß ich all die Zeit über an den alten Emeritus und den Professor mit dem sonderbaren Namen gedacht habe. Braunschweig oder Anhalt war das ewige Thema. War es nicht so? Und nun ist Harz oder Thüringen
II. 2.
das erste Gespräch, das ich Sie führen höre. Nein, mein Herr Professor „Ans dem Grunde", zu dem Behufe wollen wir uns nicht wiedergesehen haben."
Gordon versprach feierlichst Besserung, fragte nach dem Obersten und zuletzt auch nach Rosa und ob Nachrichten von ihr eiugetrofsen seien, was bejaht wurde. Dann erhob er sich, verneigte sich mit vieler Artigkeit gegen den Hofprediger und empfahl sich, während Cocile nach dem Diener klingelte.
Hr rjr
„Nun," fragte Cacile, „welchen Eindruck haben Sie von ihm empfangen?"
„Einen guten."
„Ohne Einschränkung?"
„Fast. Er ist klug und gewandt, und wie ich glaube, von untadliger Gesinnung."
„Aber?"
„Er hat, so lebhaft und sanguinisch er ist, einen eigensinnigen Zug um den Mund und ist muth- maßlich fixer Ideen fähig. Ich fürchte, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, so will er auch mit dem Kopf durch die Wand. Das Schottische spukt noch in ihm nach. Alle Schotten sind hartköpfig. "
„Ich Hab' ihn umgekehrt immer nachgiebig gefunden und überaus leicht zu behandeln."
„Ja, Alltags und in kleinen Dingen."
„Cöcile schwieg sichtlich verstimmt, weshalb der Hofprediger, einlenkend, fortfuhr: „Im klebrigen, meine gnädigste Frau, dürfen Sie Bemerkungen wie diese nicht ernsthafter nehmen als sie gemacht werden. Alles was ich gesagt habe, sind Sentiments und Muthmaßungen. Ich bin Hofprediger, aber nicht Prophet, auch nicht einmal von den kleinen. Und wenn ich Recht hätte! Was bedeutet Eigensinn? Unser Leben ist voller Fallgruben und wer in die des Eigensinns fällt, fällt noch immer nicht sonderlich tief. Da giebt es ganz andre. Herr v. Gordon, wenn mich nicht Alles täuscht, ist ein Mann von Grundsätzen und doch zugleich frei von
38