C.Lcile.
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ist Ihr Dämon. Ueberschwänglichkeiten, die sich in's Religiöse kleiden ohne religiös zu sein, haben keine Geltung vor Gott, ja, nicht einmal vor dem Papste. Wovon ich mich selbst einmal überzeugen durfte."
Der nüchterne Ton, in dem er dies sagte, machte sie stutzen, aber eine gute Wirkung, au der die Neugier einigen Antheil haben mochte, war doch für den sie scharf beobachtenden Hofprediger unverkennbar und so nahm er denn auf's Neue herzlich und zuthulich ihre Hand und wiederholte: „Ja, meine gnädigste Frau, nicht einmal vor dem Papste, wovon ich mich selbst einmal überzeugen konnte. Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich Hauslehrer und dann Reisebegleiter bei dem jungen Grafen Medem war und mit ihm nach Rom ging. Als wir daselbst eines Tages zu Schiff nach Terracina wollten, traf es sich, daß auch der Papst, der alte Gregor XVI., dieselbe Reise machte, damals schon ein hoher Siebziger. Ich seh' ihn noch, wie er über die Schiffbrücke kam und umgeben von seinen Dienerschaften auf ein Zeltdach zuschritt, das man eben in der Nähe des Steuers für ihn aufstellte. Kaum aber, daß er sich hier placirt hatte, so drängte sich auch schon eine die Fahrt mitmachende Frau durch alle Dienerschaften hindurch, warf fich vor ihm nieder und umfaßte seine Knie. Sie war augenscheinlich aus der Campagna nach der Stadt gekommen und rief jetzt, unter fortwährenden heftigen Selbstanklageu, die Vergebung des heiligen Vaters an. Der ließ sie denn auch eine Weile gewähren, als es aber andauerte, trat er zuletzt an den Schiffsrand und sagte kalt und abwehrend: »Ena LntbusiaZta«."
Coeile starrte verwirrt vor sich hin, war aber doch sichtlich aus dem Bann ihrer Aengste heraus, und so durfte denn der Hofprediger in einem mit jedem Augenblicke freundlicher werdenden Tone fortfahren: „Und nun zürnen Sie mir nicht, meine gnädigste Frau, wegen eines Mangels an Rücksichtnahme. Kenn' ich doch Ihren beweglichen und im Letzten auch gesunden Sinn und weiß deshalb, Sie werden sich endgiltig aufrichten an dieser Geschichte. Die Heilslehren existiren und sollen uns Brot und Wein des Lebens sein. Aber sie sind nicht ein Schlagwasser oder Riechsalz, um uns in jedem beliebigen Momente plötzlich aus unserer Ohnmacht aufzuwecken. Es giebt auf diesem Gebiete nichts Plötzliches, sondern nur ein Allmähliches, auch die geistige Genesung ist ein stilles Wachsen, und je tiefer Sie sich mit dem Glauben an den Erlösertod Jesu Christi durchdringen, desto sichrer und fester wird Ihnen der Friede der Seele sein."
Neunzehntes Kapitel.
Während der Hofprediger mit Coeile dies Gespräch führte, schleuderte Gordon am andern Kanal-
Ufer auf seine Wohnung zu, bog aber, als er auf diesem Rückwege die Pfeiler der die Straße kreuzenden Eisenbahnbrücke passirt hatte, zunächst nach links hin in einen wenig belebten Weg ein, um hier, am Bahndamm entlang, ungehinderter seinen Gedanken nachhängen zu können. Ahnungslos hinsichtlich des Stimmungs-Umschlages, der sich im Gemüthe seiner Freundin inzwischen abermals vollzogen hatte, war das ihn beherrschende Gefühl lediglich ein freudiges Staunen über die Vorgefundene Wandlung zum Guten und Gesunden hin. Ja, die Cscile seiner Thalenser Tage war eine schöne, trotz aller Melancholie beständig nach Huldigungen ausschauende Dame gewesen, während die Cacile von heut eine heitre, lichtvolle Frau war, vor der der Roman seiner Phantasie ziemlich schnell verschwand.
„Was bleibt übrig? Ich glaube jetzt klar zu sehen. Sie war sehr schön und sehr verwöhnt, und als der Prinz, auf den mit Sicherheit gerechnet war, nicht kommen wollte, nahm sie den Obersten. Und ein Jahr später war sie nervös, und zwei Jahre später war sie melancholisch. Natürlich, ein alter Oberst ist immer zum Melancholischwerden. Aber das ist auch alles. Und schließlich haben wir nichts als eine Frau, die, wie tausend andre, nicht glücklich und auch nicht unglücklich ist."
Unter solchem Selbstgespräche war er bis an die Bülowstraße gekommen und wollte sich eben unter Benutzung derselben, in weitem Bogen wieder nach Hause schlängeln, als er, in einiger Entfernung, eines Begräbnißzuges gewahr wurde, der nach dem Matthäikirchhofe hinaus wollte. Der gelbe, mit Kränzen überdeckte Sarg stand auf einem offnen Wagen, in dessen Front ein schmales, silbernes Kreuz beständig hin und her schwankte. Hinter dem Wagen kamen Kutschen und hinter den Kutschen ein ansehnliches Trauergefolge. Gordon wäre gern ausgewichen, aber der gehabten Anwandlung sich schämend, blieb er und ließ den Zug an sich vorbei- passiren. „Es ist nicht gut, die Augen gegen derlei Dinge zu schließen, am wenigsten wenn man eben Luftschlösser baut. Der Mensch lebt um seine Pflicht zu thun und zu sterben. Und das Zweite beständig gegenwärtig zu haben, erleichtert einem das Erste."
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Gordon wuchs sich rasch wieder in Berlin ein und war nur verwundert, nach wie vor keinen Brief aus Liegnitz eintreffen zu sehn, auch nicht als er die saumselige Schwester gemahnt hatte. Seine Verwunderung war aber nicht gleichbedeutend mit Verstimmung, vielmehr gestand er sich, alles in allem nie glücklichere Tage verlebt zu haben. Auch nicht in Thale. Wenn es sein konnte, sprach er täglich bei seiner Freundin vor und erneuerte dabei die freundlichen, gleich bei seinem ersten
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