Issue 
(01/01/2019) 06
Page
270
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

270

Theodor Fontane.

Gordon, als er sie so sah, war tief bewegt, vergaß Alles und wollte Worte der Theilnahme sprechen. Sie ließ es aber nicht zu, nahm viel­mehr ihrerseits das Wort und sagte, während sie sich mit Anstrengung an dem Rückenkissen höher hinaufrückte:So spät erst. Ich habe Sie früher erwartet, Herr von Gordon . . . Hat unser kleines Diner so wenig Gnade vor Ihren Augen gefun­den? Aber setzen Sie sich. Dort unten steht noch ein Stuhl. Werfen Sie das Tuch bei Seit'; oder nein, geben Sie's her, ich will es noch über den Shawl decken. Denn offen gestanden, mich friert."

Und doch haben Sie sich hier in's Freie ge­bettet, als ob wir Juli statt October hätten."

Ja, der Geheimrath, der eben hier war, war derselben Meinung und tadelte mich, ja, drang in dem ihm eigenen Tone darauf, mich persönlich um­betten zu wollen."

Ein Ton, den ich höre. O'ost Io ton, gni kalt In Niusigue."

Freilich. Und bei Niemandem mehr, als bei dem Geheimrath. Und doch amüsirt er mich; ich gestehe es, wenn auch vielleicht wenig zu meinem Ruhme. Man hört so viel Langweiliges und er ist immer so pikant. Aber warum ich hier in dieser Octoberfrische liege, das macht, daß ich ein­fach keine Wahl habe. Denn laß ich mich in die Vorderzimmer bringen, so Hab' ich, so hoch sie sind, keine Lust und so kommt es denn, daß ich das Frösteln und schlimmsten Falls selbst ein Erkältungsfieber vorziehe. Von zwei Uebeln wähle das kleinere. Nun aber fort mit dem ganzen Thema. Nichts ist langweiliger als Krankheitsgeschichten, wenn nicht Zwei zusammenkommen, die sich untereinander über­bieten. Und zu diesem Rettungsmittel werden Sie nicht greifen wollen. Erzählen Sie mir also lieber von Rosa. Wissen Sie, daß ich schon eifersüchtig war. Immer sprachen Sie leise mit einander, wie wenn sie Geheimnisse hätten, und als der alte General seinen letzten Trumpf ausspielte, gab es ein verständnißvolles Händedrücken. O, mir ist nichts entgangen. Und dann zuletzt noch das Cha- peronniren bis an die Pferdebahn. Nun, das klingt freilich eben so harmlos wie nah, ist aber doch schließlich ein ziemlich weiter Begriff und reicht, wenn es sein muß, bis an das Engel-Ufer. Bei­läufig, wie kann man am Engel-Ufer wohnen, eine Künstlerin und eine Dame."

Ach, Sie haben leicht spotten, meine gnädigste Frau. Wissen Sie doch am besten, wie's liegt. Rosa! Mit Rosa könnte man um den Aequator fahren und man landete genau so wie man eingestiegen. Ich habe sie bis an ihre Wohnung geführt und wir haben eine Welt besprochen und bewitzelt. Und doch, wenn ich statt ihrer selbst eins ihrer Bilder unterm Arm gehabt hätte, so wär' es dasselbe ge­

wesen. Um es kurz zu sagen, ihr Charmantsein ist ohne Charme und ich kenne Frauen, deren zu­stimmendes Schweigen mir mehr bedeutet, als Rosa's witzigstes Wort."

Cocile lächelte und verschmähte es, sich das Ansehen zu geben, als ob sie Sinn und Ziel sei­ner Worte nicht verstanden habe. Zugleich aber schüttelte sie den Kopf und sagte:Sie werden besser thun, mir von meinen Tropfen zu geben. Da, das Fläschchen. Es ist ohnehin schon über die Zeit. Aber zählen Sie richtig und bedenken Sie, welch' ein kostbares Leben auf dem Spiele steht. Es ist Digitalis, Fingerhut. Entsinnen Sie sich noch der Stunden, als wir von Thale nach Altenbrak hinüberritten? Da stand es in rothen Büscheln um uns her. kurz vor dem Birkenweg, wo sich die Turner gelagert hatten und dann aufsprangen und vor uns präsentirten."

Vor Ihnen, Eocile ..."

Ja," fuhr diese fort, ohne der Unterbrechung zu achten,damals glaubte ich nicht, daß der Fin- gerhut für mich blühe. Seit gestern aber ist mir auch noch eine Herzkrankheit in aller Form und Feierlichkeit zudiktirt worden, als ob ich des Elends nicht schon genug hätte. Fünf Tropfen, bitte; nicht mehr. Und nun etwas Wasser."

Gordon gab ihr das Glas.

Es schmeckt nicht viel besser als der Tod . . . Nun aber setzen Sie sich wieder und erzählen Sie mir von Ihrer eigentlichen Tischnachbarin. In­teressante Frau, die Baronin. Nicht wahr? Und so distinguirt!"

Jedenfalls mehr decidirt als distinguirt. Den Zweifel, diesen Ursprung oder Sprößling aller Be­scheidenheit, haben die Götter beispielsweise nicht in ihre Brust gelegt; dafür aber den Haß, wenigstens den redensartlichen. Gott, was haßte diese Frau nicht alles! Und dazu welch' ein Appetit! Und jedes dritte Gericht ihr »Leibgericht«; Pardon, sie brauchte wirklich diesen Ausdruck. Ach, Cacile, wie kommen Sie zu diesem Mannweib. zu solcher Amazone, Sie, die Sie ganz Weiblichkeit sind und ..."

Und Schwäche. Sprechen Sie's nur aus. Und nun elend und krank dazu!"

Nein, nein," fuhr Gordon in immer wärmer und leidenschaftlicher werdendem Tone fort:Nein, nein; nicht krank. Sie dürfen nicht krank sein. Und diese dummen Tropfen, sammt der ganzen Doktorensippe, die nicht klüger ist! Das brüstet sich mit Ergründung von Leib und Seele, schafft im­mer neue Wissenschaften, in denen man sich vor »Psyche« nicht retten kann und kennt nicht 'mal das ABC der Seele. Verkennung und Jrrthum wohin ich sehe. Ach, meine theure Cöcile, Sie haben sich hier in bittere Kälte gebettet, um freier athmen zu können. Aber was Ihnen fehlt, das ist nicht Lust,