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Theodor Fontane.
hatte. Warte waren gesprochen, Andentungen gemacht worden, die vor einer Woche noch unmöglich gewesen wären. „Ja," schloß er seine rückblickende Betrachtung, „so war es, so verlief es. Und dann antwortete sie so dringend, wie nie zuvor und zugleich so demüthig wie immer."
Unter solchem Selbstgespräche war er bis an das Thiergarten-Hotel und gleich danach bis in die unmittelbare Nähe der Lenno-Straße gekommen. Aber zu Hause, zwischen Alltagsmöbeln und bei nichts Besserem als zwei Schweizerlandschaften in Oeldruck, die schon unter gewöhnlichen Verhältnissen eine Qual für ihn waren, sich einzupserchen, widerstand ihm heilte doppelt und so ging er an seiner Wohnung vorüber und aus eine Bank zu, die, trotzdem die Octobersonne einladend daraus schien, unbesetzt war.
Er lehnte sich, den Arm aufstützend, in eine der Ecken und sann und rechnete, bis allmählich eine Bilderreihe, darin es auch an grotesken Gestalten wicht fehlte, die Reihe seiner Gedanken ablöste. Vorauf erschien die schöne Frau von Zacha, ganz in Krepp mit großen schwarzen Jet-Perlen dreimal um Brust und Hals, und an den Perlen ein Crucisix bis auf den Gürtel. Und dann sah er Cscile, wie sie die Straße hinanfsah. Und dann kamen die, auf die sie wartete: erst ein Alter in Jagdsoppe, rüstig und jovial und mit grauem Backenbart, englisch gestutzt und geschnitten, und dann ein Junger in Reisekvstüm, fein und durchsichtig, und Hüstellid, und dann ein Dritter in Uniform, mit hohen Schultern und Gold am Kragen. Und er mußte lachen und sagte: „Marinelli. Ja, Kleinerfürsten-Hosmarschall . . . Und in der Welt hat sie gelebt. Traurig genug. Aber was beweist es? Soll ich daraus herleiten, daß sie mir eine Komödie vorgespielt und alles nichts sei wie der Jargon einer schönen Frau, die sich unbefriedigt fühlt und die laugen öden Stunden ihres Daseins mit einer Liebesintrigne kürzen möchte? Nein. Wenn dies Lug und Trug ist, dann ist Alles Lüge, dann bin ich entweder unfähig, wahr von unwahr zu unterscheiden, oder die Kunst der Verstellung hat in den sieben Jahren meiner Abwesenheit wahre Riesenfortschritte gemacht, solche, daß ich mit meiner schwachen Erkenntniß nicht mehr folgen kann."
Er wollte sich losmachen voll diesen und ähnlichen Betrachtungen, aber es brodelte weiter in seiner Seele. „Die Welt ist eine Welt der Gegensätze, draußen und drinnen, und wohin das Auge fällt, überall Licht und Schatten. Die dankbarsten Menschen überschlagen sich plötzlich in Undank und die Frommen, mit dem seligen Hiob an der Spitze, murren wider Gott und seine Gebote. Was hat nicht alles Platz in einem Menschenherzen? Alles verträgt sich, man rückt mit gut und bös ein bis
chen zusammen, und wer heute sittlich ist und morgen frivol, kann heute gerade so ehrlich sein wie morgen. Clothilde hatte Recht, als sie mich ermahnte, das Kind nicht mit dem Bade zu verschütten. Und was sagte Rosa: »die arme Frau«. Sie muß also doch Züge herausgesnnden haben, die Theilnahme verdienen. Und das sagt viel. Denn die Weiber sind untereinander am strengsten und wo sie par- donniren, da muß Grund für Gnade sein."
In diesem Augenblicke kam eine Spreewalds- Amme mit einem Kinderwagen und nahm neben ihm Platz. Er sah nach ihr hin, aber die gewul- steteu Hüften sannnt dem Ausdruck von Stupidität und Sinnlichkeit waren ihm in der Stimmung, in der er sich befand, geradezu widerwärtig, und so stand er — übrigens zu sichtlicher Verwunderung stiller Bankgenossin — rasch auf, um weiter in die Parkanlagen hinein zu gehen.
Als er nach einer Stunde müd' und abgespannt nach Hause kam, übergab ihm der Portier einen Brief und ein Telegramm. Der Brief war von Cocile, soviel sah er an der Aufschrift und die Frage, woher die Depesche komme, war ihm deshalb, momentan wenigstens, gleichgültig. Er stieg hastig in seine Wohnung hinauf um zu lesen, oben aber überkam ihn eine Furcht. Endlich erbrach er den Brief. Er lautete: „Lieber Freund. Es geht nicht so weiter. Seit dem Tage, wo wir das kleine Diner halten, sind Sie verändert, verändert ill Ihrem Tone gegen mich. Ich sprach es Ihnen schon ans und wiederhole, daß ich daraus verzichte, nach dem Grunde zu forschen. Aber was der Grund auch sei, fragen Sie sich, ob Sie den Willen und die Kraft haben, sich zu dem Tone znrückzufinden, den Sie früher anschlngen und der mich so glücklich machte. Prüfen Sie sich, und wenn Sie antworten müssen »nein«, dann lassen Sie das Gespräch, das wir eben geführt haben, das letzte gewesen sein. Es gilt Ihr und mein Glück. Die zitternde Handschrift wird Ihnen am besten sagen, wie mir um's Herz ist, das in allen Stücken nicht will, wie's soll. Aber ich beschwöre Sie: Trennung oder das Schlimmere bricht herein. Neber kurz oder lang würde Sie der Beruf, den Sie gewählt, doch wieder in die Welt hinausge- führt haben — greifen Sie dem vor. Ich vergesse Sie nicht. Wie könnt' ich auch! Immer die Ihrige
Cocile."
Er war bewegt, am bewegtesten durch das rückhaltlose Geständniß ihrer Neigung. Aber er ersah eben daraus auch den ganzen Ernst dessen, was sie nebenher noch schrieb, sie hätte sich sonst zu solchem Geständnisse nicht Hinreißen lassen.
„Ob ich den Willen und die Kraft habe, fragt sie. Nun, den Willen, ja. Aber nicht die Kraft. Vielleicht^ weil auch der Wille nicht der ist, der