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(01/01/2019) 06
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das ist Licht, Freiheit, Freude. Sie sind einge­schnürt und eingezwängt, deshalb wird Ihnen das Athmen schwer, deshalb thut Ihnen das Herz weh, und dies eingezwängte Herz, das heilen Sie nicht mit todtem Fingerhutkraut und am wenigsten mit den fünf Tropfen da. Sie müßten es wieder blühen sehen, rvth und lebendig wie damals, als wir über die Felsen ritten und der Helte Sonnen­schein um uns her lag. Und dann Abends das Mondlicht, das auf das einsame Denkmal am Wege fiel. Unvergeßlicher Tag und unvergeßliche Stunde."

Sie sog jedes Wort begierig ein, aber in ihrem Auge, darin es von Glück und Freude leuchtete, lag doch zugleich auch ein Ausdruck ängstlichster Sorge. Denn ihr Herz und ihr Wille befehdeten einander und je gewissenhafter und ehrlicher das war, was sie wollte, je mehr erschrak sie vor Allem, was diesen ihren Willen wieder in's Schwan­ken bringen konnte. Sie hatte sich gegen sich selbst zu vertheidigen und so sagte sie denn:O

nicht so, lieber Freund. Sehen Sie die rothen Flecke hier? Ich fühle wenigstens wie sie brennen. Glauben Sie mir, ich bin wirklich krank. Aber wenn ich auch gesund wäre, Sie dürfen diese Sprache nicht führen. Um meinetwegen nicht und auch um Ihretwegen nicht."

Es war ersichtlich, daß er diese Worte nicht recht zu deuten verstand und so wiederholte sie denn:Ja, auch um Ihretwegen nicht. Denn

diese Sprache, soviel sie bedeuten will, ist doch nur Alltagssprache, Sprache, darin ich jeden Ton und jede kleinste Nüance kenne. Das wenigstens Hab' ich gelernt, darin wenigstens Hab' ich eine Schule gehabt. So spricht Herkömmlich ein Mann von Welt zu einer Frau von Welt und es fehlen nur noch die Herabsetzungen und Verkleinerungen, ich sage nicht wessen, und die versteckten Anklagen, ich sage nicht gegen wen, um das Herkömmliche dieser Sprache vollkommen zu machen. Ein Glück für mich, daß Ihr Taktgefühl mich vor diesem Aeußer- sten wenigstens zu bewahren wußte."

Sie schob, als sie so sprach, sich abermals auf- richlend, den Shawl zurück und setzte dann in wie­der freundlicher werdendem Tone hinzu:Nein,

Herr v. Gordon, nicht so. Bleiben Sie mir, was Sie waren. Ich finde Sie so verändert und frage vergebens nach der Ursache. Aber was es auch sein möge, machen Sic mir mein Leben leicht, an­statt es mir schwer zu machen, stehen Sie mir bei, helfen Sie mir in Allem, was ich soll und muß und täuschen Sie nicht das Vertrauen oder, wozu soll ich es verschweigen, das herzliche Gefühl, das ich Ihnen von Anfang an entgegen brachte."

Gordon schien antworten zu wollen, aber sie wies nur auf die Karaffe, zum Zeichen, daß sie zu trinken wünsche, trank auch wirklich und fuhr dann

aufathmend fort:Es drückt mich mancherlei. Sie haben gesehen, wie wir leben; es ist soviel Spott um mich her, Spott, den ich nicht mag und den ich oft nicht einmal verstehe. Denn die großen Fragen interessiren mich nicht und ich nehme das Leben, auch jetzt noch, am liebsten als ein Bilder­buch, um darin zu blättern, lieber Land fahren und an einer Waldecke sitzen, zusehen, wie das Korn geschnitten wird und die Kinder die Mohn­blumen pflücken, oder auch wohl selber hingehen und einen Kranz flechten und dabei mit kleinen Leuten von kleinen Dingen reden, von einer Geis, die verloren ging oder von einem Sohn, der wie­der kam, das ist meine Welt, und ich bin glücklich gewesen, so lang ich darin leben konnte. Dann, ich war noch ein halbes Kind, wnrd' ich aus dieser Welt herausgerissen, um in die große Welt gestellt zu werden und ich habe mich, so lang es galt, auch ihrer Freuden gefreut und an ihren Thorheiten und Verirrungen Theil genommen. Aber jetzt, jetzt sehne ich mich wieder zurück, ich will nicht sagen, in »kleine Verhältnisse«, die würd'ich nicht ertragen können aber doch zurück nach Stille, nach Idyll und Frieden, und gönnen Sie mir es auszusprechen, auch nach Unschuld. Ich habe Schuld genug ge­sehen. Und wenn ich auch durch all' mein Leben hin in Eitelkeit befangen geblieben bin und der Huldigungen nicht entbehren kann, die meiner Eitel­keit Nahrung geben, so will ich doch, ja, Freund, ich will es, daß diesen Huldigungen eine bestimmte Grenze gegeben werde. Das habe ich geschworen, fragen Sie nicht wann und bei welcher Gelegen­heit, und ich will diesen Schwur halten und wenn ich darüber sterben sollte. Forschen Sie nicht wei­ter. Es ist hier mehr Tragödie zu Haus, als Sie wissen. Und nun verlassen Sie mich, rch bitte Sie. Der Arzt kann jeden Augenblick kommen und ich möchte nicht, daß mein Puls ihm verriethe, wie sehr ich seine Vorschriften mißachtet habe."

Vierundzwanzigstes Kapitel.

In großer Bewegung hatte Gordon Cocile ver­lassen und erst ans dem Heimwege kam er wieder zur Besinnung und überdachte sein Benehmen. Er hatte sich wirklich dem Augenblick überlassen und war, als er sie so krank und schmerzlich-resignirt sah, nur voll herzlicher Theilnahme gewesen. Aber dies Gefühl reiner Theilnahme hatte nicht ange­dauert. Aller Krankheit und Resignation unerachtet, oder vielleicht auch gesteigert dadurch, war etwas Bestrickendes um sie her gewesen, und diesem Zau­ber auf's Neue hingegeben, war er in eine Sprache verfallen, die zu mäßigen er nach dem Inhalt von Clothilden's Briese nicht mehr für geboten gehalten