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Theodor Fontane.
Gordon sah einer Antwort entgegen, aber sie kam nicht, was ihn anfangs halb beunruhigte, halb verstimmte. Die geschäftlichen Verhandlungen indeß, die den October über andanerten und ihn zu Vermessungen und sonstigen Feststellungen erst nach Schleswig und dann hoch hinaus bis an den Lim- fjord führten, ließen eine Kopfhängerei nicht auf- kommen. Erinnerungen erfüllten sein Herz, aber jedes leidenschaftliche Gefühl schien begraben, und er freute sich der Wendung, die diese Lebensbegegnung, deren Gefahren er wohl einsah, schließlich genommen hatte.
Sv war seine Stimmung, als er ganz unerwartet die Weisung erhielt, abermals nach Berlin znrückzukehren. Er erschrak fast, aber die Verhältnisse gestatteten ihm keine Wahl und an einem grauen November-Nachmittage, dessen Nebel sich in dem Augenblicke, wo der Zug hielt, zu einem Landregen verdichtete, traf er in Berlin ein und stieg in dem Hotel du Parc ab, in demselben Hotel also, darin er während seines September-Aufenthaltes täglich verkehrte und seinen Mittagstisch genommen hatte.
Das Zimmer, das ihm angewiesen wurde, lag eine Treppe hoch, nach der Bellevuestraße hinaus und hatte den Blick auf das von Bäumen umstellte Podium, aus dem er ehedem, wenn er vom Hafenplatze kam, manch' glückliche Stunde verplaudert hatte. Das lag nun zurück und auch die Scenerie war nicht mehr dieselbe. Die Kastanienbäume, die damals, wenn auch schon angegelbt, noch in vollem Laube gestanden hatten, zeigten jetzt ein kahles Gezweig, und vom Dach her, just an der Stelle, wo man den ganzen sommerlichen Tisch- und Stühle-Vorrath übereinander gethürmt hatte, siel der Regen in ganzen Cascnden ans das Podium nieder.
Gordon tiberkam ein Frösteln.
„Hoffentlich ist das nicht die Signatur meiner Berliner Tage. Das würde wenig versprechen. Aber am Ende, was kann man von einem November-Nachmittag erwarten! »8orao äa/s niust l)6 ckarü Ällä äroar^«, — ich weiß nicht, sagt es Tennp- son oder Longfellow, jedenfalls einer von Beiden, und wenn etliche Tage »dunkel und traurig« sein müssen, nun denn, warum nicht dieser? Ein Feuer im Ofen und eine Tasse Kaffee werden übrigens die Situation um ein Erhebliches verbessern."
Er zog die Klingel, gab seine Ordres und that einige Fragen an den Kellner.
„Was giebt es im Theater?"
„Störenfried."
„Etwas antik. Und im Opernhause?"
„Turmhäuser."
„Haben Sie Billets?"
„Ja, Parquet und ersten Rang. Niemann singt und die Voggenhnber."
„Gut. Erster Rang. Deponiren Sie's beim Portier."
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Kurz vor 7 hielt die Droschke vor dem Opernhanse und der allezeit bereit stehende Wagenschlag- Oeffner sagte mit der ihm eigenen und bei Glatteis und trockenem Wetter immer gleichklingenden Fürsorge: „Nehmen Sie sich in Acht."
Gordon freute sich des voll und glänzend besetzten Hanfes und ließ von seinem Umschauhalten erst ab, als der Taktstock sich erhob und die Ouvertüre begann. Er kannte jeden Ton und folgte mit Verständnis; und Freudigkeit, bis er plötzlich, in einer ihm gegenüber liegenden Loge, Cocile's gewahr wurde. Sie saß vorn an der Brüstung, neben ihr der Geheimrath, der ihr, wahrend der Fächer sie halb verdeckte, kleine Bemerkungen zuflüsterte, wobei beider Köpfe sich berührten. So wenigstens schien es Gordon. Und nun ging der Vorhang ans. Aber er sah und hörte nichts mehr und starrte nur, während er Kinn und Mund in seine linke Hand vergrub, nach der Loge hinüber, ganz und gar seiner Eifersucht hingegeben und von einem prickelnden Verlangen erfüllt, lieber zu viel als zu wenig zu sehen. Es schien aber, daß Beide dem Spiele nicht nur oberflächlich, sondern aufmerksam und mit einem gewissen Ernste folgten, und nur dann immer, wenn eine leere Stelle kam, beugte sich der eine znm andern und sprach abwechselnd ein kurzes Wort, das von Seiten Cociles meistens mit einem Lächeln, von Seiten des Gehcim- rathes aber mal ans mal mit einem komisch gravitätischen Kopfnicken beantwortet wurde.
Gordon litt Höllenqualen und über seiner Rache brütend, war er nur darüber in Zweifel, ob er sich im gegebenen Moment (und der Moment mußte sich geben) lieber als »Böses Gewissen« oder als »Mephisto« geriren solle. Natürlich entschied er sich für das Letztere. Spott und superiore Witzelei waren der allein richtige Ton und als ihm dies fest stand, fiel znm ersten Male der Vorhang.
Drüben aber leerte sich die Loge, darin nur Cocile mit ihrem Hausfreunde zurückblieb.
Und nun stürmte Gordon hinüber, um sich der gnädigen Frau vorzustellen.
Der Geheimrath hatte sein Glas genommen und musterte den Vorhang. Als er sich eben wieder wandte, vielleicht um seiner Freundin und Nachbarin eine kunstkritische Bemerkung über Arion und noch wahrscheinlicher über die badelustige Nereidengruppe zuzuflüstern, sah er den inzwischen eiuge- tretenen Nebenbuhler, der, mit halbem Gruß ihn streifend, sich eben gegen Cocile verneigte.