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(01/01/2019) 06
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Cecile.

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er sein sollte. Woher sollt' ich ihn auch nehmen? Ich kann hier nicht leben und an ihrem Hanse Tag um Tag gleichgiltig vorübergehen, als wüßt' ich nicht, wer hinter den herabgelassenen Ronleaux seine Tage vertrauert. Und so Hab' ich denn Bei­des nicht, nicht die Kraft und nicht den Willen."

Als er so sprach, überflog er noch einmal die letzten Zeilen und griff dann erst nach dem Tele­gramm. Es kam aus Bremen und enthielt die kurze Weisung, herüber zu kommen, weil sich dem Unternehmen Seitens der dänischen Regierung neue Schwierigkeiten in den Weg gestellt hätten.

Ohne den Brief wäre mir das Telegramm ein Greuel gewesen, jetzt ist es mir ein Fingerzeig, wie damals der Befehl, der mich ans Thale weg- rief. Nur daß die Situation von heute pressanter und das Glück im Unglück ersichtlicher ist. Es bleibt ewig wahr, man soll nicht mit dem Feuer spielen. Trivialer Satz. Aber die trivialsten Sätze sind immer die wahrsten. Und so denn also Rück­zug! Er wird mir leichter, als ich's vor einer Stunde noch gedacht hätte, denn Alles, was gut und verständig in mir ist, stimmt mit ein und kommt mir zu Hülse. Sich dupiren lassen oder Spielzeug einer Weiberlaune zu sein, widersteht mir. Aber hier ist nichts von dem allem, nicht Dupirung, nicht Weiberlaune, nicht Spiel. Arme Cocile. Dir ist die höhere Moral nicht an der Wiege gesungen worden und Oberschlesien mit Adels- nnspruch und Adelsarmnth war keine Schule dafür. Nur zu wahr. Aber es war ein guter Fond in ihr, ein ästhetisches Element, etwas angeboren Feinfüh­liges, das sie gelehrt hat, echt von unecht und Recht von Unrecht zu unterscheiden. Etwas ans der Zeit, wo die »Pilzchen« mit dein Uoi Olmni- pignon auf dem Tisch standen, ist ihr freilich ge­blieben und wird ihr bleiben, aber sie will aus dem alten Menschen heraus, aufrichtig und ehrlich, und sie daran hindern zu wollen wäre niedrig und geradezu schlecht. Also weg, fort! Leben heißt Hoffnungen begraben."

Er sprach es in gutem Glauben vor sich hin. Aber plötzlich besann er sich und lächelte:Hoffnungen, ideales Wort, das für meine Wünsche, wie sie nun mal sind oder wenigstens waren, nicht recht passen will. Aber müssen denn Hoffnungen immer ideal sein, immer weiß wie die Lilien auf dem Felde? Nein, sie können auch Farbe haben, roth wie der Fingerhnt, der oben ans den Bergen stand. Aber weiß oder roth, weg, weg."

Und er klingelte nach der Wirthin und gab Ordres für seine Abreise.

Fünfundzwanzig st es Kapitel.

Den andern Morgen war er in Bremen und nahm Wohnung in Hillmann's Hotel, einem ent- II. 3.

zückenden Gasthause, das er schon aus früheren Aufenthalten kannte. Die Fenster in seinem Zim­mer standen ans und er sah abwechselnd über die die Vorstadt von der Altstadt trennende Esplanade hin in die buntbelebte Sögestraße hinein und dann wieder unmittelbar auf eine neben der ganzen Hötel- front hinlaufende, mit Kies bestreute Rampe, darauf die Gäste saßen und eben ihren Frühkaffee nahmen. Denn es war noch milde Lust und die mächtigen Bäume des benachbarten Wallgangs bildeten einen Schirm, der die ganze Rampe zu einer wiudge- schützten Stelle machte. Hier wollt' er auch sitzen, und als er sich umgekleidet hatte, stieg er treppab und nahm an einem der Tische Platz. Das Trei­ben, das vorüberwogte: Rollwagen, die nach dem Hafen fuhren, Mägde, die zu Markt und Kinder die zur Schule gingen, alles that ihm wohl und gab ihm ein stilles Behagen wieder, das er seit dem Tage, wo Clothildens Brief eintraf, nicht mehr gekannt hatte. Dabei sah er Cocile beständig vor sich, die, wie ein hinschwindendes Nebelbild, ihn aus weiter Ferne her zu grüßen und doch zugleich auch abzuwehren schien. Das war die rechte Stimmung und er ließ sich Papier und Schreibzeug bringen und schrieb:

Hochverehrte gnädigste Frau, liebe theure Freundin. Als ich gestern Nachmittag Ihre Zeilen empfing, empfing ich auch ein Telegramm, das mich hierher berief. Es hätte mich noch 24 Stun­den vorher unglücklich gemacht, jetzt war es mir willkommen und half mir, wie schon einmal, über Schwanken und Kämpfe fort.

Ich soll mich zurückfinden in den Ton unserer glücklichen Tage, so schrieben Sie mir gestern. Mit Ihnen am selben Orte, dieselbe Luft ath- mend, würd' ich es nie gekonnt haben; aber in dieser Trennung werd' ich es können oder es ler­nen, weil ich es lernen muß. Es ist uoch früh am Tag und ich habe noch Niemand aus dem Kreise meiner Auftraggeber gesprochen, aber wenn sich mir erfüllt, was ich von Herzen wünsche, so brechen alle Verhandlungen ab, die mich an diese Küste fesseln und an ihre Stelle treten wieder Missio­nen, die mich auf's Neue weit in die Welt und in die Fremde hinausführen. Denn in der Fremde neh­men wir, zurückblickend, das Bild für die Wirk­lichkeit und die Sehnsucht, die sonst uns quälen würde, wird unser Glück. Ueber lang oder kurz hoff' ich wieder über die Schneepässe des Himalaha zu gehen, überall aber, und je höher hinaus, desto mehr, werd' ich der zurückliegenden schönen Tage gedenken, an Quedlinburg und Altenbrak und das Denkmal auf der Klippe.. Träume nur und Visio­nen, aber man nimmt seinen Trost wie und wo man ihn findet. Liebe, theure Freundin, Ihr in- nigst ergebener Leslie-Gordon."

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